Von Lene Zade: Fontanes Sensationen
Eine dreibändige Fontane-Bibliographie zeigt den Klassiker in einem ganz neuen Licht
Stand:
Kaum ein anderer Autor scheint, besonders hier im Brandenburgischen, so vertraut wie Theodor Fontane. Er ist bekannt als schreibender Wanderer und als literarischer Frauenversteher, wer Jenny Treibel oder Effi Briest nicht in der Schule kennenlernt, begegnet ihnen im Kino oder im Theater. Kein anderer deutschsprachiger Autor des 19. Jahrhunderts erfreut sich heute noch solcher Popularität. Fontane ist ein Klassiker, keine Frage. Klassiker aber sind selten für Überraschungen gut.
Diese Gewissheit wurde im Falle Fontanes durch eine vom Potsdamer Fontane-Archiv beauftragte Bibliographie (de Gruyter Verlag) nun nachhaltig erschüttert. Die scheinbar banale Materialfrage, was Fontane eigentlich alles geschrieben hat, wo es veröffentlicht wurde, wurde ganz neu gestellt. Die Antwort findet sich in einer elektronischen Datenbank im Fontane-Archiv und sie liegt in drei dickleibigen Bänden vor, die von der Fachpresse als „Sensation“, die den „Beginn einer neuen Fontane-Forschungsära“ einläutet, begrüßt wurden. Zu Recht. Denn die mehr als 14 000 Einträge sind weit mehr als ein schlichtes Literaturverzeichnis. Für ernsthafte Fontaneaner sind sie ein wahrhaftes „Suchparadies“. Wer sich in die versammelten bibliographischen Nachweise vertieft und immer wieder bei den erklärenden Anmerkungen hängen bleibt, ahnt auch als Laie, wie bruchstückhaft das bisherige Fontane-Bild war.
Als wohl wichtiges Korrektiv, das die Bibliographie liefert, kann die Erfassung der journalistischen Schriften Fontanes gelten. Zwar war bekannt, dass Fontane seine Romane überwiegend nach seinem 60. Lebensjahr schrieb. Doch wie mühsam sich der gelernte Apotheker zuvor als Journalist durchs Leben schlug, wird erst jetzt fassbar: Nahezu 2800 Zeitungsartikel Fontanes hat Rasch recherchiert, hunderte von Korrespondenzen, Rezensionen, Theaterkritiken und Reisefeuilletons, darunter viele bislang unbekannte Arbeiten Fontanes. Den bisherigen Bestand im Fontane-Archiv konnte er um mehr als 2300 Artikel vervollständigen. Spätestens hier wird der Leser sich des Respekts für den Bibliographen kaum enthalten können. Allein die Vielzahl der oft kryptischen Chiffren oder die Menge der anonym publizierten Texte beeindruckt. Diese dem später so gewichtigen Dichter des Realismus glaubwürdig zuzuschreiben, verlangte mehr als Spürsinn. Es brauchte jemanden, der das Werk Fontanes bis in die sprachlichen Eigenheiten kennt, jemanden, der sich in der damaligen Medienlandschaft auskennt und Einfühlungsvermögen für die Arbeitsbedingungen eines „literarischen Proletariers“ hat, der Fontane lange Jahre war.
Der Germanist Wolfgang Rasch hatte fachliche Kompetenz bereits durch seine Karl Gutzkow- und seine Peter Rühmkorf-Bibliographie bewiesen, als er 1999 gebeten wurde, diese auch Fontane angedeihen zu lassen. Was er von seinen mehr als sechs Jahren im Dienste Fontanes zu erzählen weiß, klingt mehr nach kriminalistischer Recherche als nach staubtrockener Archivarbeit. Nur der in der Einleitung annoncierte Anspruch, nach dem „Autopsieprinzip“ bibliographiert zu haben, lässt ahnen, dass Wolfgang Rasch oft das Sonnenlicht entbehrt hat. Denn was so sachlich klingt, bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass alle verzeichneten Titel dem Bibliographen vorlagen.
Um seine Schätze zu heben, war Rasch oft auf seine Intuition und manchmal auf Glück angewiesen. So wusste er, dass Fontane einige Beiträge im „Wochenblatt der Johanniter-Ordens-Balley Brandenburg“ veröffentlicht hat, die Chiffre Th. F. wies ihn eindeutig als Autor aus. Aber da gab es auch andere, anonym publizierte Texte, die Rasch irgendwie vertraut vorkamen. Auf Verdacht kopierte er und verglich sie später mit Fontanes Kriegsbüchern – und entdeckte wörtliche Übereinstimmungen, die die Autorschaft Fontanes nahelegen. Eine andere Zeitung für die Fontane als „Einflussjournalist“ – als Autor im Dienste seiner Regierung – schrieb, war für Rasch in allen deutschsprachigen Bibliotheken unauffindbar. Erst durch eine polnische Studentin vermittelt, gelangte eine Mikrofiche-Kopie des „Danziger Dampfbootes“ nach Potsdam – und so konnte eine weitere biografische Lücke geschlossen werden.
Die Bibliographie geht allerdings weit über das Leben Fontanes hinaus. Denn sie versammelt auch sämtliche Forschungsliteratur, alle Rezensionen und weiteres zur Wirkungsgeschichte Fontanes. Die Titelaufnahmen enden 2005, dem Jahr des Redaktionsschlusses. Damit umfasst sie gut 165 Jahre Fontane-Literatur in all ihren Facetten. Ein beeindruckendes Denkmal für Fontane, das in möglichst vielen Bibliotheken zugänglich sein sollte.
Wolfgang Rasch: Theodor Fontane Bibliographie. 3 Bde., Berlin 2006. € 498.
Lene Zade
- Brandenburg
- Kino
- Literatur in Brandenburg
- Schule
- Schule und Kita in Potsdam
- Theater in Potsdam
- Theodor Fontane
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: