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Runde der Zeitzeugen des Mauerfalls vor zwanzig Jahren gestern bei einer Diskussion im überfüllten Begegnungshaus von Groß Glienicke.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Frage nach dem Unrechtsbewusstsein

Diskussionsrunde mit Zeitzeugen des Mauerfalls im überfüllten Groß Glienicker Begegnungshaus

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Groß Glienicke - Bunter konnte die Runde von Zeitzeugen des Mauerfalls, welche der Journalist Winfried Sträter gestern zur Diskussion ins Begegnungshaus Groß Glienicke eingeladen hatte, kaum sein: ein Ortsbewohner seit 1950, der jetzige Ortsvorsteher und Ex-Major der DDR-Grenztruppen, eine Frau, die als 15-Jährige in den Westen wechselte, sowie der Wende-Bürgermeister.

Ex-Grenzermajor Peter Kaminski scheute die Diskussion nicht. Der Ortsvorsteher von Groß Glienicke bekannte: „Mit einem Abiturnoten-Durchschnitt von 1,4 hätte ich fast alles in der DDR werden können.“ Er habe sich jedoch für die Offizierslaufbahn entschieden, weil er die Überzeugung hatte, damit etwas für „meinen Staat und den Frieden“ beitragen zu können. Kaminski, der als Artillerie-Offizier von der Nationalen Volksarmee zu den Grenztruppen versetzt wurde, war seit 1986 im Objekt Waldsiedlung. Nach Grenzdurchbrüchen gefragt, antwortet er: „Seit 1986 hat es keine Toten gegeben.“ Er sei froh, dass er nie in die Situation gekommen sei, sich für den Gebrauch der Schusswaffe entscheiden zu müssen. „Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte“, sagte er. Die Soldaten der Grenztruppen seien handverlesen gewesen, durften keine West-Verwandten haben. Zu deren Waffengebrauch sagte er, dass die jungen Männer, „mit 18 oder 19 Jahren fast noch Kinder“, für ihren Dienst entsprechend ausgebildet und „vergattert“ worden seien. Indirekt ließ sich daraus entnehmen, dass der Waffengebrauch zum Handwerk gehörte.

Die gebürtige Groß Glienickerin Hanne Ritter, die sich als 15-Jährige von den Eltern trennte und in West-Berlin blieb, weil das Anwesen der Eltern nach Gebietstausch auf DDR-Territorium lag, zeigte sich von Kaminskis Beitrag sichtlich beeindruckt: „Ich möchte Ihnen für Ihre ehrliche Offenheit herzlich danken“, rief sie unter starkem Beifall der zirka hundert Anwesenden im überfüllten Begegnungshaus. Einer anderen Teilnehmerin im Publikum war das zu viel und sie fragte Kaminski: „Haben Sie denn gar kein Unrechtsbewusstsein?“ Der Vorwurf: „Sie haben doch dazu beigetragen, dass die Menschen unterdrückt wurden.“ Nicht allen waren die Vorwürfe recht, doch Kaminski zeigte sich nicht verlegen und bekannte, dass er mit seinem damaligen Wissen und Überzeugungen kein Unrechtbewusstsein hatte. „Ich war der Meinung, in diesem Beruf kann ich dem Frieden dienen.“

Dass die Grenzöffnung am 9. November eine „extrem brenzliche Situation“ war, darin waren sich die Zeitzeugen zunächst einig. Der Historiker Prof. Christoph Kleßmann klärte jedoch auf, dass die akute Gefahr, dass es zum Gebrauch von Waffen kommen könne, am 9. November bereits vorbei war. Die Gefahr habe vor allem einen Monat früher auf dem Höhepunkt der Leipziger Demonstrationen bestanden. Und Kaminski erzählte, dass die Kommandeure der sieben Grenzregimenter um Berlin „jeder für sich“ entschieden hätten, die zu den Übergangsstellen strömenden Menschen ohne weiteres passieren zu lassen. „Es war ein unwahrscheinliches Glücksgefühl“, erinnerte sich Gerhard Bundschuh, der von der Grenzöffnung in Karlsruhe erfuhr, wohin seine Frau Eva-Maria, eine bekannte Opernsängerin, zu einem Engagement begleitet hatte. G. S.

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