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Landeshauptstadt: Freiheit ist nicht selbstverständlich

Erschütternde Zeitzeugen-Berichte bei Ausstellungseröffnung in der Gedenkstätte Lindenstraße 54

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Ein weißes Band führt durch die Ausstellung. Es holt die Passanten von da ab, wo sie sind, vom Pflaster des Gehweges vor der Lindenstraße 54. Von 1952 bis 1989 war dies die Adresse des berüchtigten Potsdamer Stasi-Untersuchungsgefängnisses. Die Ausstellungsmacher, das Potsdam-Museum und das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), beschrifteten das weiße Band im Gehwegpflaster mit einer Aussage des Ex-Häftlings Horst Köhler: „Ich finde es wichtig, dass alle erfahren, was mit uns geschah, damit sie wissen können, dass die Freiheit, in der sie leben, nicht selbstverständlich ist.“

Die Gäste der gestrigen Eröffnungsfeier für die Dauerausstellung über die Lindenstraße 54 als sowjetisches Geheimdienst- und Stasi-Untersuchungsgefängnis verkörperten leicht über 1000 gestohlene Lebensjahre, verbracht in DDR- und sowjetischen Gefängnissen und Straflagern. Die Anklagen lauteten etwa auf „Mitgliedschaft in einer klerikal-faschistischen Organisation“, wie zum Beispiel bei Hermann Kahlert. Er hatte als Katholik religiöse Veranstaltungen im damaligen West-Berlin besucht. „Trude, hier steht Vati“ ruft er überrascht. Auf den weißen Bändern, die die Gefängnisflure entlangführen, sind Namen von Opfern und deren Daten eingraviert. Kahlert wusste, dass sein Name dabei ist, dass aber auch sein Vater nicht vergessen wurde, rührt den heute in Dänemark Lebenden zutiefst.

„So ein Luxusbett hatten wir nicht“, versichert Georg Rabach aus Brandenburg/Havel angesichts eines Bettes mit Stahlfederung. Er lag zwischen dem 28. Mai 1954 und dem 23. August 1954 in der Lindenstraße auf „Brettern mit Aufliegern“. Er machte sich laut Stasi-Anklage des „Boykottes“ und der „Kriegshetze“ schuldig. Der wahre Grund aber, versichert Rabach, war seine Mitgliedschaft bei den Zeugen Jehovas.

Hauptexponat der Ausstellung ist das Gefängnis selbst, dessen Zellenwände mit Dokumenten und Darstellungen versehen sind. So wird an Johanna Kuhfuß erinnert, Verkäuferin aus Werder, die mit 23 Jahren am 10. April 1952 in Moskau erschossen wurde. Das gleiche Schicksal erlitten neben vielen anderen auch das Ehepaar Charlotte und Erwin Köhler. Er war damals Potsdamer CDU-Vorsitzender. Erschütternd auch dies: Da ein Blutstropfen nur für zwei Buchstaben reicht, munterte Helga Rist ihre Lieben mit einem aus der Lindenstraße geschmuggelten „Blutbrief“ vom 1. März 1948 im Telegramm-Stil auf: „Muttilein, sei tapfer, nie Hoffnung aufgeben “

Blumen mit einer Schleife für seinen Sohn Alexander legte Rüdiger Oehmke gestern an der Gedenkstele im Innenhof ab. Der Junge war mit zwölf Jahren am 18. März 1985 an Leberkrebs gestorben. Er wäre gestern 34 Jahre alt geworden. Die Ursache war Oehmke zufolge psychosomatischer Natur. Als er im Zuge seines Ausreiseantrages in der Lindenstraße in Einzelhaft saß, bekam dies sein Sohn durch Benachteiligungen in der Schule zu spüren. Er galt als der Sohn eines „Verräters und Agenten“. Oehmke war als Wanderer mit Rucksack bei Grevesmühlen unweit der deutsch-deutschen Grenze festgenommen worden. Nach 18 Monaten kam er 1981 zusammen mit 30 anderen im Austausch gegen die DDR–Spionin Christel Guillaume frei und in die Bundesrepublik.

Bedrückt schaut sich Rüdiger Oehmke in den Zellen um. Hier und da erinnert er sich. Die Glasbausteine zum Beispiel. Glasbausteine statt Fenster in den Zellen, das ist eine subtile Foltermethode, sagt er. Es fehlt die Sonne, das Grün der Bäume. „Ach, darum hast du zu Hause die Glasbausteine rausgerissen“, sagt seine zweite Frau Sabine Oehmke. Nachdenklich steht der Ex-Häftling im Gefängnisflur. Ob es einen Zusammenhang gibt?

Da läuft Gabriele Schnell vorbei, die Ausstellungs-Kuratorin. Sie hat viele Interviews mit Betroffenen geführt. Doch hat sie auch schon einen ehemaligen Gefängniswärter gesprochen? Leider nein, sie habe noch keinen gefunden. Dabei sichere sie Anonymität zu.

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