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Homepage: Frühlingsgruß von der Bagdadbahn Das Balkan-Windröschen ist in der Türkei heimisch
Im Botanischen Garten der Universität Potsdam gibt es zahlreiche exotische und heimische Pflanzen zu bewundern. In den PNN stellt Kustos Michael Burkart einmal im Monat eine dieser Pflanzen vor.
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Im Botanischen Garten der Universität Potsdam gibt es zahlreiche exotische und heimische Pflanzen zu bewundern. In den PNN stellt Kustos Michael Burkart einmal im Monat eine dieser Pflanzen vor.
Die Türkei ist ein großes und gebirgiges Land. Die Südküste am Mittelmeer ist vom anatolischen Hochland durch den Taurus getrennt, dessen höchste Gipfel über 3 700 Meter erreichen, im östlichen Taurus sogar über 4 000 Meter. Die Staatsfläche ist mit 800 000 Quadratkilometern mehr als doppelt so groß wie die des heutigen Deutschland, allerdings noch bescheiden im Vergleich zum Osmanischen Reich, welches Ende des 17. Jahrhunderts von Marokko bis zum Kaukasus und Persischen Golf reichte.
Aus dem osmanischen Giganten wurde aufgrund innerer und äußerer Konflikte über die nächsten 200 Jahre der „kranke Mann am Bosporus“, der gerade wegen seiner Schwäche für das erstarkende Deutsche Kaiserreich ein strategisch interessanter Partner schien. So sollte die Bagdadbahn die letzten zweieinhalbtausend Kilometer einer Schienenverbindung von Berlin bis zum Persischen Golf bilden. Gutbezahlte deutsche Ingenieure konzipierten die Trasse, die den Taurus mit zahlreichen Brücken und Tunnels überquerte. Auch ein gewisser Walter Siehe aus Berlin war dabei. Die schwere Arbeit wurde dagegen von Billiglöhnern verrichtet, mit Ausbruch des ersten Weltkriegs dann zunehmend von armenischen Zwangsarbeitern. Diese Arbeiter fielen am Ende ebenso dem Völkermord an den Armeniern zum Opfer wie die Überlebenden der Todesmärsche, die mit der inzwischen teilweise fertig gestellten Bagdadbahn zum Zweck ihrer Auslöschung in die syrische Wüste deportiert wurden.
Welche Haltung Walter Siehe dazu bezog, ist nicht klar. Er blieb jedoch über das Ende des Krieges hinaus in der Türkei, wo er auf vielen Exkursionen seine botanische Leidenschaft verfolgte und Pflanzen sammelte, darunter rund 60 für die Wissenschaft neue Arten. Er verkaufte Zwiebeln und Knollen an Händler und Liebhaber in Europa, darunter auch eine blaue Anemone, die bis dahin nicht in Kultur war. Das Balkan-Windröschen (Anemone blanda, „Liebreizende Anemone“) kommt in Kiefern-, Zedern- und Wacholderwäldern vor. Auch im Garten schätzt es einen Platz unter Nadelgehölzen, wo es wie in seiner Heimat vor zu großer Sommernässe geschützt ist. Neben blauen gibt es auch weiße, pink- und rosafarbene Varianten.
Übrigens ist das deutsche „Windröschen“ wahrscheinlich eine irrige Übersetzung von „Anemone“ (griechisch anemos „Wind“). Tatsächlich bezieht sich Anemone wohl auf einen Beinamen des orientalischen Frühlingsheroen Adonis und bedeutet „aus dem Blute Adonis’ entsprungen“.
Eine mögliche Haltung zu den blutigen Schrecknissen des 20. Jahrhunderts findet sich in dem Gedicht „Anemone“ von Gottfried Benn aus dem Jahr 1936: Erschütterer -: Anemone,/ die Erde ist kalt, ist nichts,/ da murmelt deine Krone/ ein Wort des Glaubens, des Lichts./ Der Erde ohne Güte,/ der nur die Macht gerät,/ ward deine leise Blüte/ so schweigend hingesät./ Erschütterer -: Anemone,/ du trägst den Glauben, das Licht,/ den einst der Sommer als Krone/ aus großen Blüten flicht. Michael Burkart
Momentan blüht das Balkan-Windröschen im Loki-Schmidt-Beet des Botanischen Gartens. Dort gibt es vom 22. bis 25. April ein Osterhasengärtchen und am 1. Mai um 9 Uhr eine Vogelstimmenführung mit Professor Dieter Wallschläger. Am 13. Mai steht um 19 Uhr eine literarische Abendführung auf dem Programm.
Michael Burkart
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