Landeshauptstadt: Für tausend Dollar lebenslänglich
„Big Brother“ auf Russisch: Potsdamer Edel-Italiener servierte „Golod“-Kandidaten ihre Henkersmahlzeit
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„Big Brother“ auf Russisch: Potsdamer Edel-Italiener servierte „Golod“-Kandidaten ihre Henkersmahlzeit Von Sabine Schicketanz Schweinefilet mit Steinpilzen. Davor ein Salat, dazu Orangensaft, danach Panna Cotta, Cognac und Whiskey. Es ist eine Henkersmahlzeit, doch das ist Nikita Sergejewitsch egal. Wie so ein richtiges Essen schmeckt, hat der 22-Jährige fast schon vergessen. 87 Tage hat er mehr oder weniger von Multivitamin-Cocktails, Nudeln und Kartoffeln gelebt. Wenn Nikita nächste Woche nach Moskau zurückfliegt, soll sich das Hungern gelohnt haben. „Wir sind berühmt“, sagt er und lächelt, mit viel Charme und ein wenig jugendlicher Dreistigkeit – bestimmt für den Zuschauer im fernen Russland. Nikita ist einer von zwölf Kandidaten, die der Privatsender TNT Anfang November für die bizarre TV-Show „Golod“ (Hunger) nach Berlin verschleppt hat. Das Konzept des russischen „Big Brother“ hat in Deutschland zunächst für Entrüstung gesorgt: Im Container in einem Spandauer Industriegebiet sind die jungen Russen eingesperrt – mit Whirlpool, aber ohne Essen. 35 Kameras überwachen die Bewohner, auch in Dusche und Toilette. Geschlafen wird mit Licht. Jeden Tag dürfen zwei nach draußen, um etwas Essbares zu besorgen. Entweder sie betteln, oder sie suchen sich Arbeit. Die TV-Zuschauer – rund 20 Millionen Russen sehen jeden Abend zu – wählen regelmäßig einen Kandidaten raus. Dem Gewinner winkt eine lebenslange Leibrente von 1000 Dollar pro Monat. Übrig von den zwölf sind jetzt nur noch vier, darunter Nikita. Zusammen mit Galina Jegorewna sitzt er nun an diesem Montagabend im Turmzimmer von Potsdams Edel-Italiener „Villa von Haacke“ beim Abendessen. Trotz Kerzenschein, Romantik gibt es nicht. Die zwei Kandidaten tragen Mikrophone, mehrere Kameras filmen sie beim Essen. „Wir wärmen uns auf vor dem Kampf“, sagt der junge Russe. Denn Nikita oder Galina – einer von beiden muss gehen. Und sie wissen, „die Zuschauer sehen alles“. Wer Konflikte angezettelt habe, sei abserviert worden. Die Sympathien gehören den „Intelligenten“, meint Nikita. Die Feststellung, dass er sich für zweifelhaften Ruhm und das Geld offensichtlich mit Haut und Haar verkaufe, erntet keinen Widerspruch. „Ja. Aber was soll“s“, sagt der Russe. Nikita und Galina – sie kam erst Anfang Januar in den Container, um eine Aufgeberin zu ersetzen – wurden unter Tausenden von Bewerbern ausgesucht. Selbst beim Casting gab es ein Finale. Warum sie sich beworben haben? „Ich wusste schon immer, dass ich berühmt werde“, sagt Nikita. Galina gibt sich mehr Mühe. Sie habe, sagt die 19-Jährige, ihre Grenzen austesten wollen. Mit nur wenig Essen zu leben, mache ihr nicht viel aus. Um ein paar Euro zu verdienen, hat sie letztens auf einem Friedhof Sträucher beschnitten. Außerdem gibt es im Container eine Notration, Nudeln und Kartoffeln. „Aber in dem Haus eingesperrt zu sein mit so vielen Leuten, das ist hart.“ Wirklich gehungert habe keiner der zwölf Kandidaten, beeilt sich Produzent Yuri Nikitin zu versichern. Einige Jobs, zum Beispiel beim russischen Radio, habe der Sender vermittelt, und den Lohn zahlt er sowieso – eine Arbeitserlaubnis haben die Russen nicht. Daran liegt es wohl, dass zumindest Nikita Sergejewitsch die einhundert Container-Tage nicht besonders anstrengend findet. „Sich unterhalten und schlafen, das ist wirklich harte Arbeit“, sagt er ironisch. Und zumindest ein gutes Essen hat Nikita bekommen. Auch wenn es vielleicht seine fernsehtaugliche Henkersmahlzeit war.
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