
© Andreas Klaer
Von Guido Berg: Futter für die Leseratten
Minister Rupprecht brachte einen Koffer voller Bücher in das Jugendwohnheim „Domizil Leuchtturm“
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Bornstedt - Die jungen Leute drängen sich auf einer Eckcouch. Der brandenburgische Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD), der vor ihnen sitzt, hat eine These: Ob nicht viele Jugendliche heute lieber zu Videos greifen oder den Computer anschalten? Dabei: „Lesen ist ’was Tolles“, ruft Rupprecht und schaut in die Runde. Kein Widerspruch, zustimmendes Nicken. Rupprecht hat einen Koffer dabei, der in der Bornstedter Jugendwohneinrichtung „Domizil Leuchtturm“ bleiben wird. Gepackt wurde das knallrote Behältnis von der Deutschen Bahn und der Stiftung Lesen mit Büchern, die bei Jugendlichen gerade en vogue sind. Rupprecht ist in den Leuchtturm gekommen, um vorzulesen und um damit das Interesse am Lesen zu schüren. Von den über 20 Jugendbüchern hat er sich „Keeper“ ausgesucht von Mal Piet, einem Briten. „Es ist eines seiner besten“, so Rupprecht und beginnt vorzulesen.
Es geht darum, wie aus dem Jungen, den sie in seinem Dorf abfällig „La Cigüena“ nannten – der Storch – der beste Torwart der Welt wurde: El Gato, die Katze. Rupprecht liest die spannende Stelle, in der der geheimnisvolle Lehrer, der „Keeper“, El Gato eine Vision vor Augen führt: Ein Jaguar jagt einen Hirsch – das Gleichnis für einen Torwart im Sprung nach dem Ball. Der Jaguar setzt an, „seine ganze Kraft scheint in seinen Hinterbacken zu stecken“, liest der ehemalige Gymnasialdirektor.
„Gibt es Fußballer unter euch?“, fragt Rupprecht, nachdem er geendet hat. Die Mädchen sind in der Überzahl im „Leuchtturm“ – der Name ist ein Symbol für Ankommen, für Land in Sicht, so Heimleiter Christian Prengel. Doch die drei Jungen haben natürlich schon mal das Leder getreten, einer sogar in einer Jugend-Mannschaft von Hertha BSC. Und so hat sich der Minister mit seiner Buchauswahl nicht vertan. Marcel Rochow, ein selbstbewusster junger Mann, der im Leuchtturm wohnt, kann sich schon vorstellen, „Keeper“ einmal zu lesen. Zunächst jedoch greift er nach „Kick it like Beckham“ von Narinder Dhami. Über dieses bereits verfilmte Buch hat er schon viel gehört. Nun will er es lesen.
Bei den Leuchtturm-Bewohnerin beweist sich insbesondere, dass Rupprechts Eingangsthese von den Jugendlichen, die womöglich lieber Videos sehen, nicht zutrifft. Jenny Lechner sagt rundweg, sie sei „eine Leseratte“ und greift sich eine Handvoll Bücher. Sie will „Zugeinander“ von Jochen Till und „Liverpool Street“ von Anne C. Voorhoeve lesen. Stefanie Schirrmeister findet dagegen, dass „einige wichtige Bücher in dem Koffer fehlen“. Sie meint „Die Wolke“ von Gudrun Pausewang, das Schicksal einer 14-Jährigen nach einem Reaktorunfall. Auch „Die Welle“ von Morton Rhue fehle, die Geschichte eines Unterrichtsexperiments, das außer Kontrolle gerät. Eine Google-Recherche über diese Bücher zeigt, dass die 14- bis 19-jährigen Leuchtturm-Bewohner echte Kenner von beliebter Jugendliteratur sind. Auch Stefanie Schirrmeister nennt Buchtitel, die in den 1700 bisher an Kinder- und Jugendheime in Deutschland verschenkten Bücherkoffern gut aufgehoben gewesen wären: „Das Tagebuch der Anne Frank“ – allgemeines anerkennendes Nicken in der Runde der Jugendlichen – und „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“.
Das Lieblingsbuch von Jasmin Gärtner aus Reetz handelt von Satanismus: „Das dunkle Herz“ heißt es und sie hat es schon mehrere Male gelesen. Natürlich sitzt sie auch häufig vor dem Computer, um auf des Ministers anfängliche These einzugehen – beispielsweise, um im Internet Bücher zu bestellen.
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