zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Garnisonkirche als „Schule des Gewissens“

Stiftung für den Wiederaufbau 40 Jahre nach der Sprengung gegründet / Bischof Huber: Vor der Aufgabe nicht zurückschrecken

Stand:

Innenstadt- 40 Jahre nach der Sprengung der baulichen Überreste der Potsdamer Garnisonkirche ist gestern eine Stiftung zum Wiederaufbau der stadtbildprägenden Barockkirche gegründet worden. Bei einem Gottesdienst mit anschließendem Festakt bezeichnete der evangelische Landesbischof Wolfgang Huber die „brachiale Sprengung des funktionsfähigen Turmes“ auf Geheiß der DDR-Führung am 23. Juni 1968 als „einen Kulturfrevel, der nach einer Antwort ruft“. Die Sprengung der unter König Friedrich Wilhelm I. durch Baumeister Phillip Gerlach 1697 bis 1748 erbauten Kirche sei ebenso wie die Zerstörung der Leipziger Universitätskirche der Versuch gewesen, junge Christen in der DDR einzuschüchtern. Die DDR-Führung Walter Ulbrichts habe zeigen wollen, dass sie eine Freiheitsbewegung ähnlich der des Prager Frühlings in der Tschechoslowakei nicht dulden werde.

Angesichts der Herausforderung, die zuletzt mit bis 100 Millionen Euro angegebenen Kosten für die Errichtung von Kirchenturm und -schiff über Spenden zusammenzubringen, beschwor Bischof Huber die Kraft der Hoffnung: „Stellen Sie sich vor, die deutsche Fußball-Mannschaft wäre vorzeitig aus der Schweiz abgereist“ und hätte nicht an ihren Sieg gegen Portugal geglaubt. Huber weiter: „Stellen sie sich vor, die Potsdamer würden vor der Aufgabe der Entwicklung ihrer Stadt zurückweichen “ Huber erinnerte an den „Mut zur Zukunft in den Zeiten des Kalten Krieges“, den die Christen aufbrachten, die den beim Bombenangriff in der Nacht vom 14. zum 15. April 1945 schwer beschädigten Turm sicherten und darin eine Kapelle einrichteten. Huber: „Kein Karfreitag kann verhindern, dass bald das Licht der Auferstehung ins leere Grab leuchtet“. Der Landesbischof forderte die Potsdamer auf: „Lassen sie uns mit dem Turm anfangen und von der ganzen Kirche träumen.“ Hinsichtlich der späteren Nutzung der Kirche erinnerte an die Potsdamer Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944, die in der Kirche geehrt werden sollen. Huber zufolge könne in dem Gotteshaus „eine Schule des Gewissens“ entstehen.

Auch Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) rief zur Mitarbeit möglichst vieler Menschen auf, damit „dieses wunderbare Gebäude“ wiedererstehe. Mit der Stiftungsgründung sei der Weg frei für die Realisierung des „Jahrhundertvorhabens“. Die Stiftung gilt vielen potenziellen Spendern als juristische Voraussetzung für ein finanzielles Engagement. Allein für den Bau des Turmes bis zum Jahr 2017 werden 25 Millionen Euro benötigt. Stiftungsträger sind die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, die Stadt Potsdam, der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein und der evangelische Kirchenkreis Potsdam. Die kirchlichen Träger bringen zusammen 400 000 Euro als Stiftungskapital ein, die Stadt Potsdam will das knapp 1300 Quadratmeter große Baugrundstück am historischen Standort beisteuern. Maßgeblichen Anteil am Zustandekommen der Stiftung hat die Fördergesellschaft mit seinem Vorsitzenden Johann-Peter Bauer und seinem Vorgänger Hans P. Rheinheimer. Bereits vor drei Jahren war der Grundstein für die neue Garnisonkirche gelegt worden.

Die Stiftungsgründung war von Protesten von etwa einhundert zumeist jugendlicher Mitglieder der Potsdamer Antifa begleitet. Eine Kundgebung am Potsdamer Glockenspiel und ein anschließender Demonstrationszug durch die Potsdamer Innenstadt blieb friedlich. Die Polizei war mit einem Großaufgebot präsent.

„Warum Preußen Scheiße bleibt“, erklärte Lina Wunderwald (Jungdemokratinnen/Junge Linke) in einer Ansprache: Preußens Toleranz habe seinerzeit da geendet, „wo kein Nutzen mehr aus ihr zu ziehen war“. Preußen sei tolerant gegenüber dringend benötigten Handwerkern aus Frankreich und Holland gewesen, Juden dagegen hätten eine Kollektivsteuer entrichten müssen und stellten in der Hierarchie der Anerkennung die unterste Klasse dar, „die Tolerierten“. Daher ihr Fazit: „Von Preußen krieg ich Pickel.“ Andere Kritiker der Wiederaufbauprojekts erinnerten an den „Tag von Potsdam“, als am 21. März 1933 Adolf Hitler im Zuge eines Händedrucks mit Hindenburg den Schulterschluss mit den deutschen Konservativen suchte. Dem halten Projektbefürworter wie der Potsdamer Pfarrer Markus Schütte entgegen, auf den einen Tag könne die Garnisonkirche nicht reduziert werden. Dort sei 1805 beispielsweise die preußisch-russische Allianz gegen Napoleon geschmiedet worden. Eine unvergängliche Weihe habe die Kirche durch einen Besuch Johann Sebastian Bachs 1747 erfahren.

Für Pete Heuer, Potsdamer Kreischef der Linken und Beobachter der antipreußischen Demo, war der Abriss der Garnisonkirche „ein Frevel“. Heuer: „Man reißt keine Kirchen ab.“ Seine eigene Haltung zu dem Vorhaben sei eher unemotional: „Ich arbeite mich nicht an Steinen und Bauten ab.“ Er begrüße aber, wenn mit dem Aufbau ein Versöhnungszweck verbunden werde. Sehr abgeschreckt werde er dagegen von Aufbaubefürwortern, die die deutsche Schuld am zweiten Weltkrieg mit seinem 50 Millionen Toten zu relativieren suchten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })