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Teilnehmer des Protests der „Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche“ halten anlässlich der Eröffnung des Turms der Garnisonkirche Schilder und Plakate.

© dpa/Christoph Soeder

Eröffnung des Turms der Garnisonkirche in Potsdam: Pfiffe und Buhrufe für den Bundespräsidenten

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet heute den Turm der Garnisonkirche in Potsdam. Er wird mit Pfiffen und Buhrufen begrüßt. Allerdings spricht er sich für den Erhalt des DDR-Rechenzentrums aus.

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Unter Protest wird in Potsdam der wiedererrichtete Turm der Garnisonkirche mit einem Festakt und einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet. Steinmeier bezeichnete den wiedererrichteten Turm der Garnisonkirche als Mahnung an die Demokratie. „Lassen Sie uns zusammen daran arbeiten, dass dieser Ort etwas wird, was er über lange Strecken seiner Geschichte nicht war: ein Ort der Demokratie“, sagte Steinmeier in seiner Rede. „Das ist die historische Verantwortung, die wir haben. Und das ist die Aufgabe, die wir hier alle zusammen als Gesellschaft haben.“

Vor Beginn des Festaktes hatten sich bis zu 200 Gegner der Rekonstruktion des barocken Kirchturms, die vor allem aus Steuergeldern bezahlt worden ist, versammelt. Sie begrüßten Steinmeier mit Pfiffen und Buhrufen, als er aus seinem Auto stieg.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Festakt zur Eröffnung der Garnisonkirche.

© Andreas Klaer

Steinmeier, der Schirmherr des Projektes der Stiftung Garnisonkirche und der Evangelischen Kirche ist, sprach sich in der Rede zur Eröffnung des Turms überraschend klar für den Erhalt des benachbarten Rechenzentrums aus. Der DDR-Plattenbau steht optisch in großem Kontrast zu dem Turm. Über einen möglichen Abriss des Rechenzentrums gibt es in Potsdam immer wieder Debatten. Auch, weil der DDR-Bau auf einem Teil der Fläche des einstigen Kirchenschiffs der Garnisonkirche steht.

Der Turm rufe dazu auf, zu erinnern, zu differenzieren, aber keinesfalls zu vergessen, so Steinmeier. „Jedem Versuch, deutsche Verantwortung zu leugnen, unsere Erinnerungskultur als Schuldkult zu diskreditieren, stellen wir uns entschieden entgegen. Ich sage bewusst: wir!“

Vor Beginn des Festaktes hatte der evangelische Bischof Christian Stäblein den Wiederaufbau des Turms verteidigt. Er sei ein Zeichen gegen das Vergessen. „Er soll als Wachturm fungieren, auf dass wir nie geschichtslos werden, dass wir nie vergessen, was an Schaden, Verirrung und Verbrechen im Namen und am Ort dieses Hauses, an Frevel und Friedlosigkeit getan und – schrecklich zu sagen – gesegnet wurde“, sagte Stäblein.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Schirmherr des Wiederaufbau-Projekts, spricht beim Festakt zur Eröffnung des Turms der Garnisonkirche Potsdam.

© Andreas Klaer

Der Wiederaufbau ist seit Jahrzehnten umstritten: Kritiker verweisen auf den „Tag von Potsdam“, als Reichspräsident Paul von Hindenburg im März 1933 dem neuen Reichskanzler Adolf Hitler vor der Kirche die Hand reichte. Der Bischof verwies auf die neue Ausstellung im Kirchturm, die nach seinen Worten „nichts auslässt und schonungslos das Ganze in den Blick nimmt“. Zu den Gästen des Festakts – die Gästeliste war bis zuletzt geheim geblieben, – gehörten auch Georg Friedrich Prinz von Preußen und seine Frau Sophie.

Initiativen sehen Militarismussymbol

Vor den Protestierenden auf der Straße sprach Sara Krieg vom Verein „Potsdam ohne Garnisonkirche“ und ehemalige Stadtverordnete der Fraktion Die Andere. Sie könne es nicht fassen, „dass hier die Geburtsstätte des Dritten Reiches als Touri-Attraktion gebaut wurde“, so Krieg. Sie sprach von Kungelei, um das Geld für den Turmbau zu beschaffen. „Das sind 57 Meter verlogene Scheiße.“ Gegen den Wiederaufbau wenden sich mehrere Initiativen, weil sie die Garnisonkirche und ihren Turm als ein Symbol des Militarismus und einen möglichen Sammlungsort von Neonazis sehen.

Sara Krieg kritisierte den Turm als „verlogene Scheiße“.

© dpa/Christoph Soeder

Mit Transparenten und Schildern standen die Menschen vor dem Gebäude der Industrie- und Handelskammer und ließen ein Lied mit dem Text „Halleluja, der Turm stürzt ein“ auf die andere Seite der Breiten Straße schallen. „Wahrzeichen des Terrors“ stand auf einem Pappschild, „Nein zum preußischen Erlebnispark“ auf einem anderen. Immer wieder waren Sprechchöre zu hören: „Heuchler, Heuchler“. Unter den Protestierenden waren auch einige Potsdamer Stadtverordnete von der Fraktion Die Andere und den Linken, auch Vertreter des Rechenzentrums waren vor Ort.

Teilnehmer eines Protests der „Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche“ halten anlässlich der Eröffnung des Turms der Garnisonkirche ein Protestbanner mit der Aufschrift „Nazikirche gegen Bürger*innenwillen“.

© dpa/Christoph Soeder

Garnisonkirchen-Pfarrer Jan Kingreen wies Bedenken der Gegner zurück. „Es gibt in der Kirche selbst keinerlei Anknüpfungspunkte für Rechtsradikale“, sagte Kingreen am Morgen dem RBB-Inforadio. „Es ist ja gerade das Gegenteil, das wir machen, wir arbeiten schonungslos die Geschichte auf. (…) Das gefällt eigentlich keinem, der rechtsradikal ist.“ Es gebe zudem strenge Regeln, was in der Kirche und im Außenbereich erlaubt sei. „Diese Geschichte gehört dazu und damit müssen wir uns auseinandersetzen.“ Man diskutiere das fortwährend mit Jugendlichen und anderen Menschen.

Kein Ende des Protests

Viele der Demonstranten vor Ort sagten, dass der Protest nicht damit enden dürfe, dass der Turm jetzt steht. „Wir müssen weiter zeigen, dass die Garnisonskirche auch symbolisch für eine menschenverachtende Politik steht“, sagte eine junge Frau. In Zeiten, in denen rechtsextreme Übergriffe zunähmen, sehe sie es als ihre Pflicht, Haltung gegen den Turm zu zeigen.

Protest gegen die Garnisonkirche.

© Andreas Klaer

Eine zweite Frau stimmte ihr zu. „Die Garnisonkirche zeigt, wie der Bürgerwille in Potsdam ignoriert wird. Ich werde immer gegen das Projekt sein und wüsste nicht, welche Ausstellung das ändern sollte“, sagte sie. Besuchen möchte sie die Schau nicht. Auch Lutz Boede von der Fraktion Die Andere kritisierte die „bedeutungslose, bestenfalls drittklassige Ausstellung, die wahrscheinlich kaum jemand besuchen wird“. Ein älterer Herr rief ins Megafon in Richtung Kirchturm: „Ihr bereitet der AfD den Boden!“

Für andere Protestierende steht das benachbarte Künstlerhaus Rechenzentrum im Mittelpunkt. „Es kann doch nicht sein, dass das Rechenzentrum abgerissen werden soll. Das ist ein echter Ort für die Stadt und für die Potsdamer, nicht diese Kirche“, sagte eine FH-Studentin. Ein Abriss des Rechenzentrums ist jedoch nicht beschlossen.

Teilnehmer des Protests stehen anlässlich der Eröffnung des Turms der Garnisonkirche mit Schildern vor dem Gebäude.

© Christoph Soeder/dpa

Eine Rentnerin aus Drewitz ist zum ersten Mal zu einer Kundgebung gegen die Garnisonskirche gekommen. „Uns wurde versprochen, dass der Turm nur aus Spendengeldern finanziert wird und jetzt stecken dort 25 Millionen Euro Steuergeld drin“, kritisierte sie. Gleichzeitig fehle das Geld beispielsweise für andere Geschichtsprojekte. Sie habe auch kein Verständnis dafür, dass der Bundespräsident den Turm eröffne. „Das adelt dieses unsägliche Projekt.“

In die gleiche Kerbe schlug auch eine Bewohnerin der Zeppelinstraße, die mit ihrem Sohn zur Demo gekommen ist. „Für mich ist das Steuerverschwendung.“ Sie hielt ein Schild in der Hand, auf dem ein Handschlag von Bundespräsident Steinmeier und AfD-Politiker Björn Höcke vor der Garnisonskirche zu sehen war, „Man erntet, war man sät“ stand darunter. Wenn man einen rechtsextrem belasteten Ort wie diesen wiederbelebe, dürfe man sich über hohe Wahlergebnisse für die AfD nicht wundern, warnte sie.

Turm ist ab Freitag für Besucher geöffnet

Die Militärkirche von 1735 war im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt, die Reste wurden 1968 gesprengt. Der Turm sei mit Blick auf die Sprengung auch eine Marke in der Landschaft gegen das Verschwinden – und ein Finger, der zum Himmel auf Gott weise, sagte Bischof Stäblein.

Ab Freitag ist der Turm für die Öffentlichkeit geöffnet. Die Stiftung Garnisonkirche hofft auf jährlich 80.000 bis 90.000 Besucher im Turm. Eine 30 Meter hohe Haube soll nach Angaben der Stiftung 2026 auf das Bauwerk kommen. Dann wäre es mit 90 Metern Potsdams höchstes Gebäude. Der Eintritt in den Turm mit Besuch der Aussichtsplattform kostet zwölf Euro, ermäßigt sieben Euro.

Die Baukosten des Wiederaufbaus lagen nach Angaben der Stiftung Garnisonkirche bei rund 42 Millionen Euro. Der Bund steuert nach eigenen Angaben knapp 25 Millionen Euro bei. Um die Finanzierung hatte es Querelen gegeben. (mit dpa)

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