Homepage: Garnisonkirche stand Magistrale im Wege
Historiker: Preußenhass war nicht der Grund für den Abriss wichtiger Potsdamer Baudenkmale
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Historiker: Preußenhass war nicht der Grund für den Abriss wichtiger Potsdamer Baudenkmale Von Erhart Hohenstein Der Hass gegen das militaristische Preußen war nicht der Grund dafür, dass die SED-Führung das Stadtschloss abreißen und die Garnisonkirchturm sprengen ließ. Als „Zukunftsstaat“, der eine bessere, dem Vergangenen auf allen Gebieten überlegene Gesellschaft schaffen wollte, habe er vielmehr das historische Erbe, einschließlich der Baudenkmale, geringer geachtet als der „Gedächtnisstaat“ Bundesrepublik. Mit dieser ungewöhnlichen These sorgte Privatdozent Dr. Martin Sabrow vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam, der im Alten Rathaus über den „sozialistischen Umgang mit dem Erbe“ sprach, für hinlänglich Gesprächsstoff. Er wies darauf hin, dass in den 50er Jahren eine ganze Barockstraße (die heutige Wilhelm-Staab-Straße) wieder aufgebaut, dass die Ruine des Stadtschlosses nach Kriegsende fast 15 Jahre und die der Garnisonkirche sogar bis 1968 stehen blieb. Und niemand habe daran gedacht, Schloss Sanssouci oder Schloss Babelsberg abzureißen. Aus dem Preußenhass könne die „Wellenlinie“ des Umgangs mit dem baulichen Erbe also nicht erklärt werden. Sofern es erhalten wurde, sei es nicht um authentische Wiederherstellung gegangen, sondern um die Funktionalität der Gebäude und Stadtteile. So wurde für die Reparatur der Häuser auf dem Neuen Markt angemerkt, damit könnten dort endlich moderne Läden eingebaut werden. Für die Sprengung der Garnisonkirche zog Sabrow als Beispiel der „Zukunftsprivilegierung“, gegen die der Denkmalschutz keine Chance hatte, die damalige Argumentation heran, der Turm sei ein Verkehrshindernis und müsse deshalb Potsdams neuer „sozialistischer Magistrale“, der Wilhelm-Külz-Straße, weichen. Diese „Begründung“, wurde aus dem Publikum eingewandt, sei aber schon 1968 von den heimatverbundenen Potsdamern als fadenscheiniger Vorwand durchschaut worden. Auf einer Wahlkundgebung am 23. Juni 1967 nannte SED-Chef Walter Ulbricht den Staatsakt am 21. März 1933 in der Garnisonkirche („Tag von Potsdam“) erneut als Beweis dafür, „dass der Nationalsozialismus legitimer Erbe und Fortsetzer des stockreaktionären preußisch-deutschen Imperialismus“ gewesen sei. Am 27. Dezember 1967 forderte der Vorsitzende des Rates des Bezirkes, Herbert Puchert, in einem Schreiben an DDR-Ministerpräsident Willi Stoph den Kirchenabriss, „um dieses Symbol des preußischen Militarismus aus dem Gedächtnis der Bürger der Stadt zu tilgen“. Und auch der Stadtverordnete Gebhard Falk, der am 26. April 1968 im Plenum mutig gegen die Sprengung auftrat, forderte, dass die Garnisonkirche als bedeutendes Baudenkmal „nicht für das bestraft werden dürfe, was in ihr (im März 1933) geschah“. Die hoch verallgemeinerte These, den Umgang mit dem baulichen Erbe aus dem Selbstverständnis der DDR als „Zukunftsstaat“ zu erklären, bietet beste Chancen, sie durch Konkreta zu erschüttern. Davon machte der für diesen Vortrag der ZZF-Reihe „Potsdam in Europa“ als Kommentator ausgewählte DDR-Althistoriker Prof. Dr. Walter Schmidt Gebrauch. Er wies unter anderem darauf hin, dass es in jeder Revolution Tendenzen der Bilderstürmerei gibt, das Verhältnis zum Erbe in sozialistischen Staat Veränderungen unterworfen war, auch in westdeutschen Städten die Abrissbirne wütete, sich mit der bevorstehenden Niederlegung des Palastes der Republik erneut das „Fehlen der historischer Vernunft“ offenbare Dass die Bundesrepublik ein „Gedächtnisstaat“, die DDR ein „Erwartungsstaat“ gewesen sei, könne er deshalb nicht akzeptieren. Kam das Laienpublikum bis dahin noch mit, wurde es durch die Thesen Sabrows über die Rolle der DDR-Geschichtswissenschaft beim Umgang mit dem Erbe sichtlich überfordert. Er kennzeichnet sie durch den Begriff „historischer Präsentismus“. (Der Duden kennt dieses Wort nicht.) Damit will er das Spannungsfeld zwischen dem wissenschaftlichem Anspruch der quellengestützten Forschung und der politisch-propagandistischer Nutzung der historischen Erkenntnisse kennzeichnen – und nimmt so die DDR-Historiker aus dem Vorwurf heraus, bloße Erfüllungsgehilfen der SED-Führung gewesen zu sein. Auch dies eine interessante These, die eine Diskussion wert ist. Eine populärwissenschaftliche Veranstaltung bietet dafür aber nicht den richtigen Ort.
Erhart Hohenstein
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