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Anscheinend schwerelos: Daria und Partner üben am Ring

© Foto: pnn/Ottmar Winter

Geflüchtete Artist*innen im Zirkus Montelino: Neues Programm, neue Sorgen

Im Zirkus Montelino trainieren junge Artist*innen, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Am Wochenende zeigen sie mit Potsdamer Artist*innen ihr neues Programm.

In dem blauen Zelt mit dem Sternenhimmel und dem roten Vorhang scheinen andere physikalische Gesetze zu gelten. Unten und oben sind keine festen Bezugsgrößen. Körper können sich anderes bewegen als man es aus dem Alltag kennt. Der Potsdamer Zirkus Montelino ist einen andere Welt. Am Freitag- und Samstagabend wollen die jungen Artist*innen wieder die Zuschauer zum Staunen bringen. Dann wird erstmals ein ganz neues Programm gezeigt, das die jungen Zirkustalente aus Potsdam und der Ukraine in den vergangenen Monaten entwickelt haben. Für die Vorstellung am Samstag um 18 Uhr gibt es noch Karten - auf Spendenbasis.

Seit dem Frühjahr trainiert wie berichtet eine Gruppe von 20 Kindern und Jugendlichen bei Montelino, die vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine geflüchtet sind. Sie wohnen mit ihren Familien entweder schon in eigenen Wohnungen oder noch kostenfrei bei Familien, die dem Zirkus verbunden sind. Das neue Programm soll erstmals eine durchgehende Erzählung sein, bei der deutsche und ukrainische Artist*innen permanent gemeinsam in der Gruppe auftreten, erklärt Geschäftsführer Bileam Tröger. „Zwar kann jeder sein individuelles Talent zeigen, aber es gibt keine Solonummern.“

Die Idee dahinter sei, dass die ukrainischen und deutschen Jugendlichen so miteinander trainieren statt nebeneinander. Anfangs sei die Sprachbarriere groß gewesen. Doch mit der Zeit ändere sich das. „Um Freunde zu finden und ein Netzwerk zu entwickeln, ist die gemeinsame Arbeit am Programm ein gutes Mittel.“ Das Programm gehe am Wochenende schon außerhalb des Zelts los, verrät Tröger. Schon auf dem Vorplatz sollen die Besucher mit Zirkusdarbietungen begrüßt werden.

Kein Problem: Kopfüber auf Händen stehen
Kein Problem: Kopfüber auf Händen stehen

© Foto: pnn/Ottmar Winter

Praktisch für die Vorbereitung ist, dass wegen der Herbstferien alle Teilnehmer ganztags miteinander üben können. Am Mittwoch herrscht in der Manege deshalb Hochbetrieb. Bevor am Programm gearbeitet werden kann, müssen sich alle erstmal warm machen. Dabei gibt es schon allerhand Erstaunliches zu sehen. So soll sich ein Teil der Artist*innen sehr breitbeinig aufstellen und etwas in die Knie gehen. Sie dienen ihren Partner*innen als menschliche Leitern, um von deren Oberschenkeln auf die Schultern zu klettern. Doch mehrere sind etwas ehrgeiziger: Statt sich auf die Schultern zu setzen, probieren sie gleich auf den Schultern zu stehen.

Auch Darya ist mittendrin. Das Training macht ihr augenscheinlich Spaß, sie strahlt. Die 13-Jährige ist im Frühjahr mit ihrer Mutter bei Tröger eingezogen. Sie kommt aus Kiew, aus dem zentralen Stadtteil Petschersk. Vor den ersten öffentlichen Auftritten in Potsdam im Juni war sie noch etwas schüchtern im Gespräch. Inzwischen erzählt sie flüssig auf Englisch und auch das Deutsch wird immer besser. In Potsdam geht sie wie einige andere aus der Gruppe zur Schule, in die Willkommensklasse am Helmholtz-Gymnasium. „Im Dezember will ich die nächste Niveaustufe im Deutschkurs erreichen“, sagt sie. Damit kann sie dann in eine Regelklasse wechseln. Es geht also voran.

Doch im Moment beschäftigt sie vor allem der Zirkus. Sie lerne neue Tricks, arbeitet mit Trampolin und im Ring. Für das Programm am Wochenende müsse sie auch zwei neue Pyramiden üben, die die jungen Artist*innen als Gruppe formen werden. Eine bestehe aus drei Ebenen, bei der anderen steht der obere Teil im Handstand auf dem unteren.

Weniger klar ist die nähere Zukunft für Sonya. Die 18-jährige Artistin ist seit ihrem zehnten Lebensjahr beim Zirkus. Sie hatte in der Ukraine schon die Schule abgeschlossen. In Kiew hatte sie angefangen Schauspiel zu studieren, dann begann die russische Invasion ihrer Heimat und im März kam sie ganz allein Potsdam an. „Ich habe ein tolle Gastfamilie“, erzählt sie. Darüber sei sie froh. An fünf Tagen in der Woche geht sie zum Integrationskurs, danach zum Training in den Zirkus. Doch vieles sei noch ungewiss.

Ukrainische Geflüchtete trainieren derzeit im Zirkus Montelino im Volkspark Potsdam. Zirkusleiter Bileam Tröger betreut die jungen Artisten.
Ukrainische Geflüchtete trainieren derzeit im Zirkus Montelino im Volkspark Potsdam. Zirkusleiter Bileam Tröger betreut die jungen Artisten.

© Foto: pnn/Andreas Klaer

Tröger kennt die Probleme. Im Frühjahr hatten viele Geflüchtete erstmal die Hürden der Bürokratie zu überwinden. Inzwischen sei für alle der Aufenthaltsstaus geklärt. „Doch angesichts des Krieges gehen viele nicht von einer schnellen Rückkehr aus. das führt zu neuen Fragen.“ Am wichtigsten sei das Wohnen. So manche Unterbringung, die kurzfristig hilfreich war, ist auf die Dauer vielleicht nicht praktisch - sowohl für Gastgeber als auch Geflüchtet. „Doch in Potsdam ist es sehr schwer eine Wohnung zu finden.“ Immerhin eine Familie aus der Gruppe soll in dieser Woche einen Mietvertrag bekommen.

Auch für die deutschen Teilnehmer bringt die Arbeit in der Gruppe neue Erfahrungen. Die ukrainische Zirkuskultur sei anders als die deutsche, erzählt Jakob. Der 17-jährige Potsdamer gehört seit Jahren zur Jugendgruppe des Zirkus Montelino. „Dort ist Zirkus wie Leistungssport, führ uns ist es eher Hobby.“ Er trainiere zwei mal pro Woche. Dementsprechend gebe es auch einen anderen Anspruch. Am Wochenende wird er mit einem Partner Diabolo spielen und auch einen Teil einer Pyramide bilden.

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