Mattheuer-Plastik: Gefühlssache „Jahrhundertschritt“
Der monumentale „Jahrhundertschritt“ von Wolfgang Mattheuer wird am Sonntag in Potsdam erstmals öffentlich zu sehen sein. Am Donnerstag wurde das fünf Meter hohe Unikat, welches dem Software-Unternehmer und Kunstmäzen Hasso Plattner gehört, im Hof des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte aufgebaut.
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Potsdam - Jahrelang hat Marc Krepp auf diesen Augenblick gewartet. „Ich muss das jetzt erstmal genießen.“ Versonnen betrachtet er die fünf Meter hohe Skulptur. „Toll“, sagt er schließlich. Zum ersten Mal überhaupt ist die größte der insgesamt sechs Versionen des „Jahrhundertschritts“ nun vollständig aufgebaut – auf dem Hof des Kutschstalls am Neuen Markt. Am Sonntag um 11 Uhr soll die feierliche Enthüllung des Werks von Wolfgang Mattheuer den Abschluss und Höhepunkt der Ausstellung mit Werken ostdeutscher Künstler bilden, die der Milliardär und Mäzen Hasso Plattner gesammelt hat und die im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu sehen ist.
Plattner war es auch, der Krepp seinen Glücksmoment beschert hat. Denn die Monumentalversion des „Jahrhundertschritts“ hat der 54-Jährige bereits vor Jahren in seiner Kunstgießerei in Berlin-Weißensee hergestellt. Wann genau, weiß er selbst schon nicht mehr. Eigentlich sollte die Figur 2006 vor dem Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig aufgebaut werden. Dort steht nun eine der kleineren Versionen. Auch der Plan, sie vor dem Reichstag in Berlin zu platzieren, scheiterte. Und so lagen die 15 Einzelteile, gegossen in Formen aus Silikonkautschuk, Jahr um Jahr in Krepps Weißenseer Werkstatt. Bis Plattner das Werk aus dem Nachlass Mattheuers für seine DDR- Kunstsammlung erwarb.
Am Donnerstagmorgen lässt Krepp die Einzelteile auf einem Lkw nach Potsdam transportieren. Mit seinem Team und per Kran setzt er die 700 Kilogramm schwere Plastik nach und nach zusammen. Erst werden die Beine der Figur aufgestellt, dann schweißen Krepps Leute den Oberkörper fest. „Die steht wie ’ne Eins“, ruft einer. „Wunderbar“, entfährt es Krepp.
Der Chef ist mehr als zufrieden. Eine von ihm gegossene Figur aufzustellen, „das ist immer etwas Irres“, sagt er. Erinnerungen kommen hoch an die Zeit der Fertigung, „als die Tiegel heiß gemacht“ und die Bronze geschmolzen wurde. „Da spürt man jedes Mal, welche Urgewalten da am Werk sind“, sagt Krepp begeistert. Und der „Jahrhundertschritt“ sehe im Kutschstallhof „wirklich nobel“ aus.
Krepp will die Figur so ins Szene setzen, wie es der Intention des 2004 verstorbenen Künstlers entspricht. „Das ist Gefühlssache“, sagt der Kunstgießer. Er habe Mattheuer gut gekannt, an dem „Jahrhundertschritt“-Projekt arbeite er bereits mehr als zehn Jahre. Mit der Zeit „entwickelt sich ein fast blindes Vertrauen zum Künstler“, beschreibt Krepp das Verhältnis zu dem Bildhauer.
Und nicht nur zu ihm. Mit Wieland Förster ist Krepp gut befreundet. Für ihn hat er 1999 die „Nike“ gegossen, die seitdem an der Glienicker Brücke an die friedliche Revolution in der DDR erinnert. Es ist neben dem „Jahrhundertschritt“ Krepps einzige Arbeit in Potsdam.
Denn in seinem Metier ist er ein „global player“. Krepps Kunstgießerei nimmt Aufträge aus aller Welt entgegen. Sie kommen von Künstlern, doch zumeist von der öffentlichen Hand, von Städten, Stiftungen, Museen oder Galerien. Seine Werke stehen in privaten Sammlungen in Japan und Hongkong ebenso wie in Europa oder Übersee. Für den Berliner Bildhauer Alexander Polzin fertigte Krepp zwei Abgüsse einer Skulptur, die den italienischen Astronomen Giordano Bruno darstellt. Eine steht heute vor dem Berliner Hauptbahnhof, die andere in Budapest. Ebenfalls für Polzin goss er zwei je vier Meter hohe Plastiken, die den Platz vor der Opéra Bastille in Paris zieren.
Für Armando, ein niederländischen Bildhauer, stellte Krepp vor vier Jahren „Das Boot“ her – eine mehr als acht Meter lange und 3,5 Tonnen schwere Plastik, die aus 67 Einzelteilen besteht. Armando, den der Kunstgießer den „größten lebenden holländischen Künstler“ nennt, wolle am Sonntag auch zur Enthüllung des „Jahrhundertschritts“ kommen.
Unterdessen lässt ein Mitarbeiter der Kunstgießerei den Spalt zwischen Oberkörper und Beinen der Skulptur unter einer Schweißnaht verschwinden. „Die Patina“, sagt Krepp, „gleichen wir noch an.“ Schließlich soll der Betrachter nicht sehen, wo und dass die Figur überhaupt aus mehreren Teilen zusammengefügt werden musste. Krepps Freund Manfred Fischer hält den historischen Aufbau der Figur mit der Kamera fest. Von der Wirkung ist er begeistert. „Die Größe macht schon was aus. Die in Leipzig sieht dagegen überschaubar aus.“
Mattheuers Werk „regt zum Nachdenken“ an, meint der Kölner Tourist Matthias Bierth, der bei der Montage zusieht. Seine Blicke werden eher von dem „energischen Schritt“ angezogen. Die Analogien zum Faschismus und Kommunismus – der rechte Arm der Figur ist zum Hitlergruß erhoben, die linke Hand ist zur Arbeiterfaust geballt – hat er nach eigenem Bekunden nicht darin erkannt.
Die Künstlerszene fiebert der Enthüllung am Sonntag schon entgegen. „Alle, mit denen man spricht, sind außerordentlich vergnügt“, erzählt Krepp. „Und sie freuen sich für Potsdam.“
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