zum Hauptinhalt

Homepage: Gefühlte und echte Gefahr

Regionalgespräch: Wie Fremdenfeindlichkeit die Weltoffenheit der Wissenschaften behindert

Stand:

Brandenburg erhofft sich viel von der Wissenschaft. Seit der Wende hat sich die Anzahl an akademischen Instituten und Studierenden im Land vervielfacht. Die Produktion von Wissen, statt der Produktion von Gütern, ist eine weltweite Wachstumsbranche. Doch Wissenschaft benötigt immer internationale Netzwerke, um funktionieren zu können. „Wissenschaft schafft Weltoffenheit“, sagte Johann Komusiewicz, Staatssekretär im Wissenschaftsministerium kürzlich beim 24. Brandenburger Regionalgespräch in Erkner. Und schränkte sogleich ein: „Wir haben nach wie vor Probleme, Fremdes als Bereicherung zu empfinden.“ Das Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) hatte zum Regionalgespräch nach Erkner eingeladen, um das Thema „Fremde im eigenen Land - Plädoyers und Perspektiven für ein weltoffenes Brandenburg“ zu diskutieren. Fast genau ein Jahr nach der noch ungeklärten Gewalttat am Potsdamer Bahnhof Charlottenhof, bei dem der Ingenieur und Doktorand Ermyas M. schwer verletzt wurde.

„Fremdenfeindlichkeit nimmt uns die Luft“, sagte Heiderose Kilper zur Eröffnung der Gesprächsrunde. Wie, fragte die Direktorin des IRS, könne man in einem fremdenfeindlichen Klima Forschung betreiben? Sie verwies auf den Fall des Ingenieurs Ermyas M., der am Agrartechnischen Institut in Bornim arbeitete. Wie das Agrartechnische Institut ist das IRS eine eigenständige Forschungseinrichtung im Verbund der Leibniz-Gemeinschaft. Es müsse auf die positive äußere Evaluation seiner Arbeit achten, sagte Heiderose Kilper. Internationale Beziehungen seien daher unerlässlich. Das Institut in Erkner hat Kontakte bis nach Mexiko. Was jedoch, wenn sich ausländische Wissenschaftler nicht sicher fühlen? Das Problem betreffe nicht nur die Forschung. Prof. Kilper betonte, dass die Wandlungsprozesse in Brandenburgischen Städten und Kommunen ohne einen Blick von Außen, ohne das Engagement von Fremden, nicht vollzogen werden könnten. „Es geht ja nicht nur um Abriss, sondern um Umbau und das Schaffen von Neuem.“ Das IRS, das die Räume eines ehemaligen Chemiewerkes nutzt, kann als Beispiel dafür gelten.

Doch der von Heiderose Kilper angesprochene Fall Ermyas M. macht deutlich, wie schwierig der Begriff „fremdenfeindlich“ ist. Bis heute ist nicht geklärt, wie das Verbrechen einzuordnen ist. Wo liegt die Grenze zwischen dumpfer Aggression und einer fremdenfeindlichen Strategie? Verschiedene Teilnehmer des Gesprächs verwiesen hier auf die Rolle der Medien. Der Umgang mit den Medien, wie im Fall Ermyas M., ist entscheidend für das Bild einer Region. „Wir haben in Deutschland zu viele einseitige Parolen“, meinte Johann Komusiewicz. Begriffe wie „Einwanderungsland“, „Gastarbeiter“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ seien falsche Etikette und führten zu Ressentiments. In der Bevölkerung und bei Gästen gleichermaßen. Anwesende Marketing-Spezialisten sprachen von „branding“. Wie bei einem Produkt kann einer Region ein bestimmtes Image anhängen, das über Schlagworte in den Medien verbreitet wird. Zu Recht, oder zu Unrecht. Hat Brandenburg nun also ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit?

„Brandenburg hat ein ernstes Problem“, sagte Bernd Wagner. Als Geschäftsführer der Gesellschaft Demokratische Kultur (ZDK) kennt der ehemalige Kriminalpolizist die rechte Szene aus erster Hand. Mit mobilen Beratungsteams und der Initiative „Exit Deutschland“ ist Wagner vor Ort. Bundesweit seien rechte Straftaten auf einem Höchststand. Und: „Brandenburg hat die statistisch höchste Wahrscheinlichkeit eines Übergriffs für spezifische Opfergruppen“, sagte er. „Das sind harte Zahlen.“ Auch die Unklarheit über den Begriff der Fremdenfeindlichkeit wollte er nicht stehen lassen. Er sprach von einem „völkischen Syndrom“. Rechtsradikale Ideologie sei in einem rassischen Verständnis von kultureller Gemeinschaft fundiert. Wer ein solches „völkisches Weltverständnis“ habe, so Wagner, sei für fremdenfeindliche Tendenzen anfällig. Für Wagner bedeutet dies, dass demokratische Wertstrukturen durch brutale Ein- und Ausschlussmechanismen ersetzt werden.

Das IRS beschäftigt sich mit Wirtschaftsräumen, schrumpfenden Städten und Wissensmilieus. So sahen viele der anwesenden Wissenschaftler in der Fremdenfeindlichkeit ein räumliches Problem. Wo Frauen und Leistungsträger wegziehen, entstehen Räume für Fremdenfeindlichkeit: Die Zurückgebliebenen schließen die Reihen. Fremde, auch Wissenschaftler, gelten dann als Eindringlinge. Dies erklärt auch, weshalb gerade Bahnhöfe zu Tatorten werden. Die extreme Rechte habe schnell erkannt, wie wichtig das Besetzen von Räumen sei, meinte Gideon Botsch vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum. Doch die Diskussion zeigte auch, dass es kaum empirisches Material zu diesen Phänomenen gibt. Bernd Wagner sah in diesem Defizit einen Forschungsauftrag für die anwesenden Wissenschaftler. „Wir folgen noch zu sehr unserem Bauchgefühl.“ Knut-Sören Steinkopf von einem Netzwerk für antirassistische Jugendarbeit sah auch die Politik gefordert. Kommunale Jugendarbeit werde zu oft vernachlässigt, sagte er den anwesenden Kommunalpolitikern.

Das IRS ist seit 1995 in Erkner und veranstaltet dort regelmäßig Regionalgespräche. Wissenschaftler, Politiker und engagierte Bürger sollen sich unkompliziert verständigen können. Auch soll das raumwissenschaftliche und planerische Wissen des Instituts den Entscheidungsträgern zur Verfügung gestellt werden. Das schwierige Thema der Fremdenfeindlichkeit wird das Institut weiter beschäftigen. Schließlich erhofft sich Brandenburg viel von der Wissenschaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })