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Landeshauptstadt: Gegen das Vergessen

Das Erinnern an den Widerstand war Thema einer Veranstaltung in der Naumann-Stiftung

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Er war kein typisches Maueropfer. Er wollte nicht den Osten verlassen, er kam aus dem Westen. Etwa 100 Kugeln durchsiebten den Körper des DDR-Regime- Gegners Michael Gartenschläger, dessen Geschichte eigentlich ganz unpolitisch begann. Detlef Grabert vom Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg hat sie gestern rund 50 Gästen im Truman-Haus erzählt. Die Friedrich-Naumann-Stiftung hatte zum Thema „Vom individuellen Widerstand zur friedlichen Revolution“ in die Karl-Marx-Straße eingeladen, auch um über das Erinnern an die DDR-Verbrechen zu diskutieren.

Grabert sprach über den 17-jährigen Jungen aus Strausberg, den Rock “n“ Roll-Fan, der im Schuppen seiner Eltern mit Freunden Westplatten hörte. Bis am 13. August 1961 die Mauer errichtet wurde. Jetzt konnten die Jugendlichen nicht einmal mehr nach Westberlin fahren, um Platten zu kaufen. Gartenschläger und seine Freunde rebellierten. Sie strichen Parolen wie „SED-Nee!“ auf Mauern oder „Macht auf das Tor!“, setzten die Scheune der Strausberger LPG in Brand.

Einen Tag später wurden sie festgenommen, Gartenschläger zu lebenslanger Haft verurteilt. Erst nachdem er 1971 von der Bundesrepublik freigekauft wurde, begann sein tatsächlicher Widerstand. Von Hamburg aus half er 31 Menschen bei der Flucht aus der DDR. Erschossen wurde er 1976 aber, weil er die Propaganda der DDR entlarven wollte. Die SED-Regierung unter Erich Honecker bestritt den Einsatz von Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze. Also ging der mittlerweile 32-jährige Gartenschläger vor Ort und schraubte Selbstschussanlagen ab, um sie der Öffentlichkeit zu präsentieren. Als er das dritte Mal eine solche Anlage abmontieren wollte, wurde er im Auftrag der Staatssicherheit getötet.

Graberts Kommentar nach seinem Vortrag: „Es gibt meines Wissens etwa 150 Karl-Marx-Straßen in Brandenburg, aber keine Michael-Gartenschläger-Straße.“ Als Stadtverordneter der Strausberger FDP habe er versucht, eine Straße in der Heimatstadt Gartenschlägers nach dem DDR-Widerständler nennen zu lassen – ohne Erfolg. Der einstige Bürgerrechtler Manfred Kruczek aus Potsdam hat ein ähnliches Anliegen. Seit Jahren fordert er, dass die Mauerreste am Griebnitzsee nahe der Babelsberger Stubenrauchstraße unter Denkmalschutz gestellt werden. Auch gestern: „Wir als Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte fordern, dass die letzten Mauerreste am Griebnitzsee erhalten werden.“ Schüler müssten authentische Orte und Zeitzeugen kennen lernen. Nur so könne man sie zu einem aufrechten Gang erziehen, sagte Kruczek.

Die Denkmalbehörde des Landes hält die Mauerreste wie berichtet allerdings nicht für schützenswert. Erst Anfang des Monats hatte Ralph Paschke vom Denkmalpflegeamt in den PNN geäußert, dass die Mauerreste am Griebnitzsee nicht den im Kriterien des Denkmalschutzgesetzes entsprächen. Sie würden allein nichts veranschaulichen. Denkbar sei jedoch die Einrichtung eines „Denkmalbereiches“, bei der die Mauerreste zusammen mit Resten der Streckenzäune und den erhaltenen „Peitschenlampen“ am Griebnitzsee geschützt werden könnten. Zuständig für eine „Denkmalbereichssatzung“ sei allerdings die Denkmalbehörde der Stadt. Die Stadt müsse diese Verantwortung endlich annehmen, verlangte Kruczek gestern.

Unterstützt wird sein Anliegen auch von der Grünen-Bundestagsabgeordneten Cornelia Behm. Sie schrieb gestern einen Brief an Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU), in dem sie die Ministerin darum bittet, die Mauerreste unter Denkmalschutz stellen zu lassen. just

Heute, am 47. Jahrestag des Mauerbaus, lädt das Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte um 10.30 Uhr in die Stubenrauchstraße am Griebnitzsee zu einer Gedenkveranstaltung ein.

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