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Sport: Gegen den Strom

Der weltweit bisher einzige Kanu-Strömungskanal in Potsdam soll nun in China nachgebaut werden

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Der weltweit bisher einzige Kanu-Strömungskanal in Potsdam soll nun in China nachgebaut werden Schon von weitem hört der Besucher das dumpfe Dröhnen der Turbinen. Wer das schmucklose würfelförmige Gebäude am Havelufer betritt, hört auch die Bässe. 180 Beats per Minute – der Soundtrack der Love-Parade 2003. So klingt es, wenn Ronald Rauhe trainiert. Der Olympiasieger von Athen sitzt im Einer-Kajak in einer Art Schwimmbecken auf dem Gelände des Olympiastützpunkts Potsdam. Rauhe stößt das Paddel kraftvoll in das unter dem Boot hindurch strömende Wasser. Vorwärts aber kommt er nicht. Draußen vor den Fenstern schneit es. Die Havel führt Eis mit sich. Es ist kein Wetter für Kanusportler. Für sie gibt es im Winter eigentlich nur zwei Trainingsmöglichkeiten: Entweder die Sportler reisen dorthin, wo es warm ist, nach Australien oder Spanien, oder sie üben am Ergometer auf dem Trockenen. In Potsdam gibt es eine dritte Möglichkeit: die weltweit einzige Kanu-Gegenstromanlage. Unter Rauhe rauscht das blaugrüne Wasser wie ein Teppich vorbei, mit 3,6 Metern in der Sekunde. Auf bis zu sechs Meter pro Sekunde kann die Strömungsgeschwindigkeit aufgedreht werden. Doch schon so muss Rauhe kämpfen, um gegen den Strom zu paddeln. Das Wasser unter ihm fließt nicht, die Ingenieure sagen, es schießt. Von der Decke hängt ein Gurt, der am Rücken des Kanufahrers befestigt ist. Wie ein Bergsteiger an der Steilwand ist Rauhe gesichert. Sollte er kentern, würde sich die Anlage sofort abschalten, der Gurt würde sich straffen und verhindern, dass der Sportler vom Strom mitgerissen wird an das Gitter, hinter dem das Wasser gurgelnd in den Keller stürzt, um wieder umgewälzt zu werden. „Wenn du am Gitter hängst, hast du keine Chance mehr“, sagt Rauhe. Einmal haben die Kanuten eine Puppe hineingeworfen. Seitdem wissen sie, welche Kraft Wasser haben kann. In der Steuerzentrale beobachten zwei Mitarbeiter ständig den Kanal, im Winter von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends. Schon vor mehr als zwanzig Jahren ist das Becken gebaut worden, als geheimes Projekt zur Vorbereitung der DDR-Kanuten auf die Olympischen Spiele 1984. Das Land boykottierte die Spiele, aber die Anlage blieb in Betrieb. „Nach der Wende kamen Athleten aus ganz Deutschland nach Potsdam, um zu trainieren“, sagt Heike Keller vom Technischen Zentrum (TZ) in Leipzig, das die Anlage entworfen hat. Die Gegenstromanlage sei einer der Gründe für die Erfolge der deutschen Kanuten, glaubt Keller. Bei den Olympischen Spielen in Athen gewannen sie vier Goldmedaillen. Ronald Rauhe hat in Athen gemeinsam mit Tim Wieskötter im Kajak-Zweier über 500 Meter triumphiert. Im nacholympischen Winter holt der 23-Jährige Prüfungen für sein Teilzeitstudium an der Uni Potsdam nach, für ein Trainingslager in Australien, wie im vergangenen Jahr, ist keine Zeit. Deshalb ist der Kanukanal ein ausgezeichneter Ersatz. Fünfmal 2000 Meter legt der Olympiasieger an diesem Vormittag zurück. Tatsächlich bleibt der Sportler auf der Stelle, eine eintönige Beschäftigung. Es gibt nicht einmal eine Landschaft, die vorüberziehen kann, nur Technomusik vom Band. Aber das Training ist effektiv. Rauhe schaut ständig auf einen Monitor vor ihm. Aus sieben Kamerapositionen kann der Sportler sich selbst beobachten. „Das ist ideal, um an meiner Technik zu arbeiten“, sagt Rauhe. „Es gibt hier keine äußeren Einflüsse wie Gegenwind“, sagt sein Trainer Rolf-Dieter Amend, „deshalb kann man unter Laborbedingungen arbeiten.“ Dennoch ist die Anlage nie kopiert worden. Gegenstromanlagen für Schwimmer haben sich etabliert, Kanukanäle sind komplizierter. Doch jetzt gibt es Interessenten. Die Chinesen haben großen Ehrgeiz, bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking führende Sportnation zu werden – auch im Kanusport. Erst kürzlich haben sie dafür den deutschen Cheftrainer Josef Capousek verpflichtet. Derzeit laufen Verhandlungen zwischen dem TZ Leipzig und China über den Bau einer Gegenstromanlage. Eine Delegation aus China hat sich bereits in Potsdam umgesehen. Vor wenigen Wochen sind Heike Keller und ihre Kollegen von der Einweihung eines Schwimmkanals aus Schanghai zurückgekehrt. Die Eröffnung löste in China ein Medieninteresse aus, wie es der Potsdamer Kanal nie erlebt hat. Selbst der chinesische Sportminister war angereist, um die deutschen Ingenieure zu empfangen. Nicht nur Ronald Rauhe könnte 2008 Konkurrenz bekommen.

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