Landeshauptstadt: Gegen die Angst – auf kurzem Weg
Die Potsdamer Traumaambulanz bietet schnelle Hilfe für Gewaltopfer. Doch das Projekt läuft bald aus
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Die Geschichte von Patient K. könnte stellvertretend für viele stehen. Der Mittvierziger, Familienvater, arbeitete beim Wachschutz. Vor zwei Jahren wurde er bei einem Überfall brutal zusammengeschlagen. Die körperlichen Wunden sind verheilt, dennoch kann er seitdem nicht mehr arbeiten. Als familiäre Probleme und Depressionen dazukamen, wandte er sich an die psychiatrische Klinik des Ernst-von-Bergmann-Klinikums. „Ich habe ihn gefragt: Warum kommen Sie erst jetzt?“, sagt Chefarzt Christian Kieser bei der Fachtagung der Opferhilfe Brandenburg am gestrigen Dienstag.
Das Thema lautet: „Schnelle Hilfe, kurze Wege. Traumatisierung und Frühintervention für Gewaltopfer“. Es geht um Hilfe für Opfer und Zeugen von Straftaten, auch um deren Angehörige. Diese hätten zwar in der Regel einen kompetenten Ansprechpartner von Rettungskräften, Notfallseelsorgern oder Mitarbeitern des Frauenhauses. Zeigt sich dabei jedoch, dass umgehend eine Psychotherapie beginnen muss, sieht es in Brandenburg schlecht aus. Betroffene warteten in Potsdam im Schnitt 19 Wochen auf einen Termin, in ländlichen Regionen bis zu einem Jahr, sagt Rosmarie Priet. Sie leitet in Potsdam die Traumaambulanz – ein auf drei Jahre befristetes Projekt, das diese Lücke ausfüllt. Hier hätte Patient K. innerhalb einer Woche einen Therapieplatz bekommen. Und müsste jetzt nicht mit einer posttraumatischen Belastungsstörung stationär behandelt werden. Herrn K. wäre es vermutlich auch viel leichter gefallen, eine solche Beratungsstelle aufzusuchen als eine Klinik. „Wir sind für Notfälle 24 Stunden erreichbar“, sagt Kieser, aber es gebe leider oft Hemmschwellen, in eine Klinik zu gehen. Auch Patient K. dachte: Ich schaff das schon, meine Frau hilft mir. Ich hab ja nichts am Kopf. Ich geh nicht in die Klapse.
Um solche Menschen aufzufangen, gibt es seit Januar 2013 die Traumaambulanz Potsdam, ein niedrigschwelliges, aber professionelles Angebot. Eine Therapeutin, eine Sozialpädagogin und Rosmarie Priet als Psychologin schauen kurzfristig, was der Betroffene konkret braucht: Beratung, Begleitung durch den Alltag, wenn der Job unsicher ist oder man mit einem unangenehmen Strafverfahren konfrontiert wird, oder doch eine längerfristige Akut-Traumatherapie. Das ist nur in einem Teil der Fälle nötig und wird dann in der Ambulanz angeboten. „Das ist wichtig, damit sich die Ängste, Depressionen oder Schlafstörungen nicht erst verfestigen und zu weiteren Problemen, in der Familie oder am Arbeitsplatz, führen“, so Priet. Irgendwann fallen solche Entwicklungen auch der Gesellschaft auf die Füße, beispielsweise wenn – wie bei Patient K. – eine Frühberentung droht.
369 Klienten, hauptsächlich Frauen, wurden 2013 und 2014 von der Traumaambulanz betreut: nach Sexualstraftaten, Körperverletzungsdelikten wie häuslicher Gewalt oder Raub, nach Einbruch, nach Straftaten gegen das Leben. „Für sie konnten wir passgenaue Hilfen anbieten“, sagt Priet. Eine Kooperation mit dem Bergmann-Klinikum ermöglicht dabei bei Bedarf den Einsatz von Psychopharmaka. Patienten können außerdem an die Klinik verwiesen werden, die Klinik wiederum entlässt Patienten in die Obhut der Opferhilfe. Diese kurzen Wege funktionieren gut und in beide Richtungen.
Doch in ganz Brandenburg, so das Feedback der Tagungsteilnehmer, gibt es zu wenig Hilfs- und Therapieangebote. Es gebe in Brandenburg 22 000 Menschen mit einem berechtigten Therapieanspruch. Und es werden immer mehr. Viele Flüchtlinge, die aus Krisen- und Kriegsgebieten in Deutschland ankommen, haben Dramatisches erlebt, in ihrer Heimat oder auf der Flucht, sind traumatisiert. „Darauf müssen wir uns einstellen, die Flüchtlingsberatungsstellen vor Ort können das nicht leisten“, sagt eine Mitarbeiterin.
Rosmarie Priet würde sich schon freuen, wenn sie wüsste, wie es ab August mit der Ambulanz in Potsdam weitergeht. Dann endet das Projekt, das damals nur aufgrund einer finanziellen Zuwendung der Aktion Mensch möglich wurde. Finanzielle Mittel für eine Weiterführung seien derzeit nicht in Aussicht. Mindestens 80 000 Euro kostet der Betrieb der Ambulanz pro Jahr.
Einziger Lichtblick: Almuth Hartwig-Tiedt, Staatssekretärin im Brandenburger Sozialministerium, habe ihr Gespräche angeboten – im Herbst dieses Jahres. Das wäre dann allerdings zu spät. „Wir hoffen, dass uns das Land übergangsweise finanziert“, so Priet. Für Potsdam sei das gegenwärtige Angebot ausreichend – auf dem Land allerdings sieht es anders aus. „Wir müssten unser Angebot in die Fläche tragen“, antwortet Priet, wenn sie gefragt wird, was sie sich wünscht.
Opferhilfe, Jägerstraße 36, Tel. (0331) 2802725
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