Landeshauptstadt: Geschichte zwischen Glas und Plastik
50 000 Diapositive der Schlösserstiftung werden jetzt digitalisiert. Die Potsdamer können beim Enträtseln helfen
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Wenn der Gärtner im Park Sanssouci jetzt mit der Frühjahrsbepflanzung der dekorativen Blumenbeete beginnt, arbeitet er genau nach Plan. Die Architektur des Blütengemäldes orientiert sich dabei meist am historischen Vorbild. „Was wann wo gewachsen ist und geblüht hat, können die Gartendenkmalpfleger beispielsweise an alten Fotos ablesen“, sagt Jürgen Becher, Leiter des Dokumentations- und Informationszentrums der Schlösserstiftung. Auch deshalb wird in den kommenden eineinhalb Jahren der gesamte Bestand an Kleinbild-Diapositiven der Stiftung, insgesamt etwa 50 000 Stück, digitalisiert. Eine umfangreiche – und eine ziemliche Puzzlearbeit.
Von den vor weiterem Verfall geretteten und neu konservierten Aufnahmen werden nicht nur die Gärtner profitieren. Die sichtbar und für jeden abrufbar gemachten historischen Bilder stehen dann Kunsthistorikern als Quelle zur Verfügung, können Baudenkmalpfleger und Restauratoren für ihre Recherche nutzen.
Fotografiert wurde in Berliner und Potsdamer Schlössern und Parkanlagen, in den Schlössern Rheinsberg, Caputh, Paretz, Königs Wusterhausen und Oranienburg. Es gibt außerdem Potsdamer Stadtansichten, beispielsweise vom Brandenburger und Nauener Tor, vom Holländischen Viertel, der Garnison- und der russisch-orthodoxen Kirche. Sind diese Bilder über eine Datenbank abrufbar, kann auch die Öffentlichkeit neue Einblicke in Potsdams Geschichte gewinnen. „Wir hatten das Projekt schon lange vor, jetzt gab es Fördermittel dazu und wir können beginnen“, sagt Becher. 30 000 Euro wird allein die Digitalisierung kosten, das ganze Projekt, inklusive Vorsortieren und späteres Erfassen und Dokumentieren der Bilder in digitaler Form, 82 600 Euro. Die Schlösserstiftung deckt die Hälfte aus Eigenmitteln ab, dazu kommt eine Förderung in gleicher Höhe aus einem EU-Fonds.
Matthias Forster, ausgebildeter Dokumentar, betreut das Projekt. Sein Reich liegt im Untergeschoss des Dokumentationszentrums der Stiftung, ein unscheinbarer 70er-Jahre-Flachbau nahe Park Sanssouci. Hier lagern die Schätze, die jetzt gehoben werden sollen. Manchmal fühlt sich Forster dabei wie Aschenputtel: „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.“ Doch glücklicherweise können auch Exemplare, die auseinanderfallen oder beschädigt sind, meist wiederhergerichtet werden.
Für den eigentlichen Vorgang des Digitalisierens der kostbaren Stücke wurde der Auftrag deutschlandweit ausgeschrieben. „Das können wir nicht leisten, das ist richtig viel Arbeit“, sagt Becher. Etwa 5000 Stück pro Monat sollen in diese zeitgemäße Datei-Variante umgewandelt werden. „Das muss eine Firma machen, die große Mengen handhaben kann“, erklärt Becher.
Matthias Forster und seine Kollegen haben dennoch reichlich zu tun. Vor dem Verschicken müssen alle Bilder vorsortiert werden. Die ältesten Diapositive stammen aus den 40er-Jahren, bis in die 70er wurden die kleinen Filmabschnitte mit Glas gerahmt. Dann gab es genormte Plastikrahmen, auch wenn es den Bildern nicht immer gut tat. „Zwischen Glas liegt das Bild plan, ganz glatt, im Plastikrahmen wölbt es sich manchmal“, sagt Becher. Dafür finde man im Glas-Dia häufiger eingeschlossene Staubpartikel. Anhand des technischen Zustands der Dias ist eine grobe zeitliche Einordnung möglich. Das ist wichtig, falls das Bild nicht ausreichend beschriftet ist oder sich selbst erklärt. Es ist häufig der Fall, dass Forster vor einem Rätsel steht. 50erJahre, oder doch 60er?
„Wir müssen die Bilder vor dem Vergessen retten“, sagt Becher. Noch leben Menschen, die sich an die Zeit, Motive, Orte und Anlässe erinnern könnten, und Becher hofft, dass sie zur Aufklärung über unbekanntes Material beitragen werden. Das könnten Mitarbeiter der Stiftung, Gärtner, Schlossführer, Denkmalpfleger sein, aber auch Privatpersonen, die sich womöglich auf den Bildern wiedererkennen. Denn es wurden nicht nur Vasen, Gemälde und Möbel aufgenommen. Es gibt auch viele Raumansichten und vor allem Außenaufnahmen, auf denen Passanten zu sehen sind – vielleicht beim Familienausflug im Park Sanssouci oder im Vorbeilaufen am Stadtschloss, noch unversehrt vor dem Bombenangriff 1945. Letztlich sind auch manche Bilder von im Krieg zerstörter Bausubstanz rätselhaft: „Wo war das, wann etwa, und ist das Bild richtig herum oder spiegelverkehrt? Bei solchen Fragen brauchen wir die Hilfe der Potsdamer“, sagt Becher.
Andere Aufnahmen sind problemlos zu identifizieren. Als 1968 der iranische Schah mit seiner Frau Soraya Berlin besuchte, stand für die Staatsgäste ein Besuch von Schloss Charlottenburg im Protokoll, und natürlich wurde fotografiert. Diese Bilder sind schon katalogisiert, andere hingegen noch in den vielen altertümlichen Kästen aus Holz oder stabiler Pappe. „Wilhelm Pieck und Fidel Castro waren als Staatsgäste der DDR in Sanssouci, da muss es Bilder geben, wir müssen sie nur finden“, sagt Becher.
Hinweise zu Fotos an Matthias Forster unter Tel.: (0331) 96 94 339 oder per E-Mail an m.forster@spsg.de
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