Landeshauptstadt: Geschichtliche Korrektur
Gestern wurden sieben Stolpersteine verlegt: Voltaire-Schule plant Weiterführung des Projekts
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Kurt Kann ist froh über diesen Stein. „Es ist eine Art Wiedergutmachung, eine geschichtliche Korrektur“, sagt der Berliner: „Wir können uns jetzt wieder mit unserem Ursprung identifizieren.“ Sein Großvater Wilhelm Kann wurde 1943 aus Potsdam nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 4. Januar 1944. Für ihn wurde gestern der erste „Stolperstein“ in Potsdam verlegt. Etwa 150 Gäste kamen dazu am Vormittag in die Friedrich-Ebert-Straße 113 – darunter allein neun Kann-Nachfahren. „Hier kommt das, was der historische Hammer zerschlagen hat, wieder zusammen“, sagte Luis Miguel Kann, der in Lateinamerika aufgewachsene Urenkel Kanns.
Insgesamt sieben Gedenksteine verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig im Laufe des Tages in Potsdam, einen weiteren in Rehbrücke. Kostenlos unterstützt wurde er von der Potsdamer Steinsetzerfirma Krüger. Mit dem Stolperstein-Projekt soll an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden. Die mit einer Messingplatte versehenen Pflastersteine werden vor der letzten frei gewählten Wohnung der Ermordeten in den Gehweg eingelassen. Mehr als 15 400 Stolpersteine gebe es bereits in Deutschland, Österreich und Ungarn, sagte Demnig gestern. Potsdam sei die 341. Kommune, die sich beteiligt: „Ich freue mich, dass es jetzt auch hier geklappt hat.“
„Wir versuchen hiermit, der Landeshauptstadt Potsdam ihr Gedächtnis zurückzugeben“, erklärte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) bei der Verlegung. Er bedankte sich bei den Schülern der Voltaire-Gesamtschule und des Helmholtz-Gymnasiums, die die Biografien der Ermordeten im Vorfeld recherchiert hatten. Dabei hatten sie nicht nur im Landeshauptarchiv gearbeitet, sondern auch Nachfahren unter anderem in Großbritannien und Israel ausfindig gemacht.
Einer von ihnen ist Melvyn Simonson. „Die Schüler haben nicht nachgelassen“, sagte der Enkel der Potsdamerin Bertha Simonsohn, der für einen Tag aus London nach Potsdam kam. „Endlich wird meine Großmutter eine kleine Erinnerungsstätte haben“, erklärte er vor dem Haus in der Brandenburger Straße 19, in dem Bertha Simonsohn gewohnt und ein Drogerie-Geschäft betrieben hatte. Unter dem Dach des Hauses fanden nach dem Zwangsverkauf der Synagoge am Wilhelmplatz – heute Platz der Einheit – auch die letzten Treffen der jüdischen Gemeinde statt, wie der Rechtshistoriker Wolfgang Weißleder berichtete.
Mit der Deportation der Juden sei „ein wichtiger Teil der Geschichte Potsdams verloren gegangen“, sagte Oberbürgermeister Jakobs. Denn die jüdische Bevölkerung habe „eine wichtige Funktion in der Stadt gehabt“ und das Bürgertum geprägt, so Jakobs: „Wir tun gut daran, uns daran zu erinnern.“ Nach Recherchen der Historikerin Susanne Marok, die das Projekt vor mehr als zwei Jahren angeschoben hatte, gab es mindestens 123 Holocaust-Opfer in Potsdam. „Ich hoffe, dass wir noch viele Stolpersteine verlegen können“, sagte Jakobs gestern.
Konkrete Pläne zum Weitermachen gibt es bereits an der Voltaire-Gesamtschule: Religionslehrerin Ulrike Boni-Jacobi will sich im kommenden Schuljahr erneut mit einer achten Klasse an die Recherche machen, bestätigte sie den PNN. Unter den drei Namen, nach denen dann geforscht werden soll, sei auch ein Kind. Privatspender hätten bereits die Finanzierung für zwölf Steine á 95 Euro zugesagt, sagte Birgit-Katharine Seemann, Leiterin des Bereichs Kultur bei der Stadt.
Als die Stolperstein-Verleger gestern in die Ludwig-Richter-Straße 30 kamen, um drei Steine für die Familie Gormanns zu verlegen, wurden sie bereits von Karl Stein erwartet. „Wir vermissen Frau Josefson“, erklärte der 71-jährige Urpotsdamer, der die Gormanns als Kind noch kennengelernt hatte. Paula Gormanns sei mit den Josefsons, die direkt gegenüber gewohnt haben, gut befreundet gewesen. „Hier waren ja viele jüdische Mitbürger“, berichtete Karl Stein. Vor den Häusern der Deportierten hätten dann regelmäßig Versteigerungen stattgefunden: „Die Nachbarn haben sich noch um ein Bettlaken gestritten“, erzählte Stein.
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