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Zerstört. Die alten Stadtkerne in den Erdbebengebieten Italiens haben gelitten.

© AFP

Homepage: Gesprengte Verbindungen Ein FH-Symposium zum Thema Wiederaufbau

„Viel Staub hing in der Luft nach dem Erdbeben!“ erinnert sich die Architekturwissenschaftlerin Annegret Burg.

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„Viel Staub hing in der Luft nach dem Erdbeben!“ erinnert sich die Architekturwissenschaftlerin Annegret Burg. Das sei eine ganz sonderbare Stimmung gewesen: „Es war Frühling, ungewöhnlich heiß, die Lindenblüten dufteten, und an einigen Stellen war die Erde klebrig, zementartig, wohl wegen der Hitze, die aus dem Boden aufgestiegen war“. Im dritten Stock des Hauses, in dem sie sich befand, habe sie den Erdstoß deutlich verspürt, erzählt Burg.

Zwei schwere Erdbeben erschütterten Italien: 2009 in L’Aquila und 2012 in Emilia. Bilder der zerstörten Häuser und Städte zeigt eine Ausstellung in der FH Potsdam bei einem Symposium, das Annegret Burg organisiert hat. Mit dem Programm „Deutsch-Italienische Dialoge“, das vom Deutsch-Italienischen Hochschulzentrum ausgeschrieben werde, gebe es einen permanenten Dialog zwischen den Hochschulen. Dieser setzte sich auch an der FH Potsdam fort. Wissenschaftler und Fotografen aus Italien und Architekturfachleute aus Deutschland tauschten in Potsdam ihre unterschiedlichen Erfahrungen mit der Zerstörung von Architektur aus. Die Zerstörung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg sei zwar eine ganz andere gewesen, als diejenige in Italien, weiß Burg. Aber auch Italien stehe heute vor der Aufgabe, sich zu überlegen, wie weit die zerstörten historischen Stadtkerne in der Erdbebenregionen wieder hergestellt werden – oder ob Neubauten sie ersetzen. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg habe es in Deutschland viele verschiedene Ansätze gegeben, mit der zerbombten Baukultur umzugehen. Zuerst fielen etliche Bauten einer Modernisierungswut zum Opfer. Dann entstanden Neubauten, die heute als Bausünden empfunden würden.

Burg erinnert an den Luftangriff vom 14. auf den 15. April 1945, der als „Nacht von Potsdam“ in die Geschichte einging. In wenigen Stunden seien Jahrhunderte alte Bauzeugnisse der Residenzstadt zerstört worden. Baureste die stehen geblieben waren, wie die Potsdamer Garnisonskirche, seien gesprengt worden. Der Wiederaufbau der Nachkriegszeit habe unter dem Primat der autogerechten Stadt gestanden. Dementsprechend gesichtslos und restlos durchökonomisiert würden sich die Innenstädte heute noch darstellen. Städte und Orte seien den Bürgern entfremdet. Entsprechendes solle in Italien beim Wiederaufbau der von Erbeben zerstörten Städte vermieden werden, findet Burg.

„Das Italien von heute sieht doch nicht mehr aus wie in der Antike. Straßen für Großraumautos und Einkaufszentren dominieren das Bild, wie überall in Europa“, beklagt sich in seinem Vortrag der Fotograf Giovanni Chiaramonte. Darum gelte es, die Schönheit und Besonderheit der italienischen Baukultur auch dort zu erhalten, wo sie durch die Beben zerstört sei. „Die Verbindung von Boden, dem Land und der Stadt ist durch das Erdbeben gesprengt worden“, stellt die Wissenschaftlerin Nina Bassoli von der Universität Venezia fest. In L’Aquila seien durch das Erdbeben drei Viertel der Gebäude der Stadt zerstört worden. Für 600 000 Menschen musste neuer Wohnraum geschaffen werden. Zuerst waren es Unterkünfte in Zelten, dann aber baute die Verwaltung rund 180 000 Gebäude. Die wurden auf eigenständigen Plattformen und mit vielen Pfeilern errichtet. Sie sollen erdbebensicher sein. Das seien eigentlich Provisorien, die sich mittlerweile allerdings zu einem Dauerzustand entwickeln würden, vermutet die Italienerin.

Bilder des Stadtkerns zeigen abgesperrte Gebäude, die von Stützen und Trägern gehalten werden. Dazwischen Schutt, zerbrochene Säulen, aufgesprengte Böden. Über allem der strahlend blaue Himmel Italiens. In dieser abgestützten Form könnten die bröckeligen Baureste sicher keinem neuem Beben mehr standhalten, vermutet Bassoli. Es sei mittlerweile eine neue Stadt entstanden, in der sich der Stadtkern nicht mehr auf einen Punkt konzentrieren würde. Der Neuaufbau habe das ganze System der Stadt mit seinen Wasser- und Elektroleitungen und der gesamten Infrastruktur auf eine neue Grundlage gestellt. Was mit dem alten Stadtkern geschehe und wie weit dieser wieder hergestellt würde, zeige sich erst langsam. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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