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Nach Missbrauchsvorwürfen: Gewalt im Sportinternat: Vorwürfe mehren sich

Tino Fischer, Chef der Jungen Union, lernte an der Potsdamer Sportschule und ging jetzt mit seinen Erfahrungen an die Öffentlichkeit: „Mobbing und Übergriffe sind an der Tagesordnung.“

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Potsdam-West - Schüler, die von älteren Mitschülern kopfüber aus Fenstern ihres 14-stöckigen Wohnheims gehängt werden, bis sie sich vor Angst in die Hose machen. Solche erschreckenden Schilderungen hat Tino Fischer in den vergangenen Tagen von früheren Mitschülern gehört, die mit ihm an der Elite-Sportschule „Friedrich Ludwig Jahn“ lernten – und anders als er im Schulinternat wohnten. Tino Fischer ist inzwischen Chef der Jungen Union in Potsdam. Gestern machte der Jungpolitiker die Geschichten seiner Mitschüler öffentlich. Fischer fordert eine „Veränderung des Systems an der Sportschule“. Es sei ihm eine „Herzensangelegenheit“, dass es nie wieder Übergriffe in dem Wohnheim gebe.

Mit der Erklärung Fischers mehren sich die Vorwürfe, am Internat der Elite-Sportschule sei es in den vergangenen Jahren regelmäßig zu Gewalt und Mobbing gekommen. Seit mehr als einer Woche ist das Wohnheim in den Schlagzeilen, nachdem ein Verdachtsfall wegen sexueller Nötigung unter Schülern publik geworden war. Zwei 16-Jährige sollen sich an einem 13- und einem 14-Jährigen vergangen haben. Mitarbeiter des Internats sollen den Missbrauchsverdacht nicht unverzüglich der Justiz gemeldet haben, obwohl die mutmaßlichen Opfer sich nach der Tat Ende September mit Bitte um Hilfe an sie gewandt hatten. Inzwischen sind die Internatsleiterin, weitere Angestellte und ein Handballtrainer vom Dienst suspendiert. Zudem war ein Verdachtsfall auf gewalttätiges Mobbing an einem Siebtklässler bekannt geworden.

Der 22-jährige Tino Fischer lernte an der Schule bis 2008. Er erklärte, Fälle von Mobbing und gewalttätigen Übergriffen in dem Internat seien „schon lange an der Tagesordnung“ gewesen – und sie seien toleriert worden. Gesprochen habe er mit sechs Mitschülern. „Und jeder konnte von Fällen von Gewalt erzählen“, sagte Fischer den PNN. Er ruft nun dazu auf, dass sich ehemalige und jetzige Schüler, die Fälle von Gewalt und Mobbing kennen, sich an das eingerichtete Sorgentelefon der Kinderschutzfachstelle des zertifizierten Jugendhilfeträgers Start gGmbH wenden. „Angst und Scham darf es nicht mehr geben. Alles muss jetzt auf den Tisch. Das ist die Verantwortung, die auch die ehemaligen Sportschüler tragen“, so Fischer. Jeder noch möglicherweise unentdeckte Fall von Gewalt auf dem Sportinternat müsse geklärt werden. Die Verantwortlichen seien zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen.

Zugleich fordert Fischer einen Systemwechsel an der Sportschule: „Leistungsträger dürfen für unsoziales Verhalten keinen Freifahrtschein durch Trainer, Internat und Schule mehr erhalten.“ Aus seiner Zeit wisse er, dass sich die sportlicheren Schüler „mehr“ herausnehmen hätten können als andere – das gehe bei der Ordnung auf den Zimmern schon los. Schlimm sei auch, dass Grenzübertretungen unter den Schülern als „normal“ angesehen würden. „Man ist dann aber auch Teil eines Systems“, so Fischer im Rückblick auf seine Zeit an der Schule. Er fordert daher, dass die Schule mehr Wert auf die soziale Kompetenz der Sportler legen müsse. Auch seien schnellere Sanktionen zum Schutz der Schwächeren „dringend“ erforderlich, so Fischer.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe waren bei den PNN zahlreiche Hinweise auf frühere Fälle von Gewalt und Mobbing eingegangen – etwa auch von Fällen, in denen Schüler aus Fenstern gehängt wurden. Die Schule hat inzwischen einen von den Schülersprechern betreuten anonymen Briefkasten eingerichtet. Dazu gibt es die Sorgen-Hotline der Start gGmbH. Ob mögliche neue Fällen, die auf diesem Weg bekannt werden, auch öffentlich gemacht werden, ist bisher unklar. Schulleiter Rüdiger Ziemer sagte den PNN, die Schülersprecher wollten die eingehenden Hinweise zunächst vertraulich behandeln, um sie zu bewerten. Vom Wohnheim-Betreiber, der Luftschiffhafen GmbH, hieß es, die Hotline werde genutzt. „Zu Fallzahlen und zu welchem Zeitpunkt die geschilderten Fälle sich zutrugen, können wir noch nichts sagen“, so eine Sprecherin.

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