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Potsdam in der Zeit des Nationalsozialismus: Bild in „Grautönen“ treffender als Schwarzweißmalerei
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Potsdam in der Zeit des Nationalsozialismus: Bild in „Grautönen“ treffender als Schwarzweißmalerei Von Erhart Hohenstein War Potsdam in der Zeit des Nationalsozialismus ein „Hort der Reaktion“ oder ein Ort des Widerstandes? Diese Frage stellte das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in seiner Reihe „Potsdam in Europa“ an den Karlsruher Universitätsprofessor Peter Steinbach. Der Historiker, zuvor lange Zeit an der FU Berlin tätig, verweigerte im Alten Rathaus ein Ja oder Nein. Schwarzweißmalerei helfe nicht weiter, auch die Potsdamer Stadtgeschichte müsse für diese Spanne „in Grautönen“ geschrieben werden. Im Ausland – und bei linken Gruppierungen, sei hinzugefügt – prägt noch heute der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 das Bild der Stadt, in dem sich der Nationalsozialismus symbolisch und demagogisch mit dem alten Preußen vermählte. Damals säumten jubelnde Menschenmassen die Straßen, unter ihnen als Zuschauer und Akteure auch Militärs, die einige Jahre später den Widerstand gegen Hitler bis zum Attentat am 20. Juli 1944 führten. Militärs, Beamte und Christen sahen durch den Nationalsozialismus, der die nationale Krise überwinden wollte, zunächst durchaus eigene Wertvorstellungen verwirklicht. Erst spät erkannte ein Teil von ihnen, vor allem durch Kriegserlebnisse, den verbrecherischen Charakter des Systems. Die Widerständigkeit, aus der schließlich aktiver Widerstand erwuchs, wurzelte laut Steinbach in ihrem durch Traditionen wie Achtung der Menschenwürde, Toleranz, Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe geprägten sozialen und familiären Milieu. Nicht jeder fand vom Schweigen zum Widerstand, der den Verlust des eigenen Lebens, der Familie und der Karriere bedeuten konnte und meist auch bedeutete. Menschen wie Tresckow und Schulenburg gelte deshalb höchster Respekt. Steinbach bezeichnete die Männer des 20. Juli 1944 als „gewordene“ Widerständler, die den „geborenen“ folgten, nämlich SPD- und KPD-Mitgliedern und Gewerkschaftern. Die Köpfe der Arbeiterbewegung seien von den Nationalsozialisten gleich nach Machtantritt brutal vernichtet oder ins Exil gezwungen worden. Danach spielte keine Rolle mehr, dass in Potsdam bei den letzten Reichstagswahlen die SPD noch 10 000, die KPD 4000 Stimmen (gegenüber 15 000 der NSDAP und 13 000 der Deutsch-Nationalen) erhalten hatte, im wenige Jahre später eingemeindeten Nowawes / Babelsberg sogar eine klare Mehrheit. Am Ende bot nur noch der militärische Widerstand die Chance, Hitler zu stürzen. Dieser Versuch wurde unternommen. Dabei seien auch Kräfte der Bekennenden Kirche und der Arbeiterbewegung einbezogen worden, so der Babelsberger Hermann Maaß, um aus dem Widerstand ohne Volk einen Widerstand aus dem Volk zu machen. Wenngleich die meisten Verschwörer, die im Infanterieregiment 9 (IR 9) eines ihre Zentren hatten, nicht aus der Stadt stammten, ist Potsdam dadurch doch zu einem Synonym für den militärischen Widerstand, aber auch den Versuch eines Netzwerks unterschiedlicher Oppositionsgruppen geworden, so wie andere Städte für den proletarischen, anarchistischen oder christlichen Widerstand stehen. Potsdam kann mit diesem Ruf gut leben, doch tut es das? Darauf ging zum Abschluss des Vortragsabends Dr. Jürgen Danyel (ZZF) ein. Die Stadt habe sich zu diesem Teil ihres Erbes und ihrer Traditionen noch immer nicht klar positioniert. Da kann man Danyel nur zustimmen. Während die kaum einmal geöffnete Ausstellung zum 20. Juli 1944 auf dem Ministeriengelände an der Henning-von-Tresckow-Straße in Kellerräumen verstaubt, spielt die zu DDR-Zeiten überstrapazierte Erinnerung an den proletarischen Widerstand überhaupt keine Rolle mehr.
Erhart Hohenstein
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