Landeshauptstadt: „Gleichgültig, ob Armenier zugrunde gehen“ Erinnern an den Weg des Grauens
Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg wurde 1905 Potsdamer Ehrenbürger Gestern Gedenken am Lepsius-Haus für die Opfer des Völkermordes an den Armeniern vor 90 Jahren
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Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg wurde 1905 Potsdamer Ehrenbürger Gestern Gedenken am Lepsius-Haus für die Opfer des Völkermordes an den Armeniern vor 90 Jahren Von Guido Berg Die aus Anlass des 90. Jahrestages des Völkermordes an den Armeniern am 24.April aufgebrochene Debatte um die deutsche Haltung zu dem großen Verbrechen kommt nicht ohne die Beleuchtung der Position des damaligen Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg (1856-1921) aus. Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel (Nr.16 – „Todesmärsche nach Aleppo“) feststellt, gab es ab Frühsommer 1915 „nur noch eine Macht, welche den Genozid wohl hätte verhindern können: das Deutsche Reich.“ Doch anstatt dem Morden ein Ende zu setzen, schrieb Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg unter die alarmierende Eingabe des deutschen Botschafters in Konstantinopel: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht.“ Als der Reichskanzler diese Zeilen schrieb, war er seit zehn Jahren Ehrenbürger Potsdams. 1905 wurde ihm als Oberpräsident der Provinz Brandenburg die Potsdamer Ehrenbürgerschaft verliehen. Noch im selben Jahr wird er preußischer Innenminister, 1909 Reichskanzler. Prof. Martin Sabrow, Zentrum für Zeithistorische Forschung, erklärte, Theobald von Bethmann Hollweg „hatte zwar aus heutiger Sicht unakzeptable Vorstellungen“, müsse aber „als historische Persönlichkeit begriffen werden“. Potsdam müsse sich der seinerzeitigen Verleihung nicht schämen. Nur Personen, die „im unerträglichen Gegensatz zum heutigen Rechtsempfinden“ stünden, wie etwa Hitler, müssten aus Ehrenlisten gestrichen werden, alles andere wäre „historische Tiefenreinigung“, die er ablehne. Auch Prof. Hermann Goltz, Leiter des Lepsius-Archives, sagte, Bethmann Hollweg dürfe nicht auf die kritisch zu beleuchtende Armenierproblematik reduziert werden. Er sei „kein Falke“ gewesen. 1917 habe er, als er im I.Weltkrieg einen „Verständigungsfrieden“ herbeiführen wollte, auf Druck der Militärs sein Reichskanzleramt verloren. Guido Berg Etwa 30 Menschen gedachten gestern am Lepsius-Haus am Fuße des Pfingstberges und in der Pfingstkirche der Opfer des Völkermordes an den Armeniern vor 90 Jahren. Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs nannte die gegenwärtige Diskussion um das Erinnern an den Genozid „überfällig“. Jakobs: „Wir alle tun gut daran, die Erinnerung wach zu halten, geprägt von dem Gedanken der Versöhnung, wie es die Stadt bei den Konflikten der Gegenwart zu tun pflegt“. Während des Gedenkens an die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern in den Jahren 1915/16 im osmanisch-türkischen Reich lasen die Bundestagsabgeordnete Cornelia Behm (Grüne) sowie Hacik R. Gazer und Prof. Hermann Goltz (Lepsius-Archiv) Auszüge aus dem Flugblatt „Der Weg des Grauens“ des Theologen Johannes Lepsius, dass er zu jener Zeit in Potsdam verbreiten ließ. Es basiert auf dem grausigen Erlebnisbericht eines deutschen Diplomaten, der die Überreste der Ermordeten an den Wegesrändern der Deportation schildert: „3 Uhr 45: Blutiges Skelett eines etwa zehnjährigen Mädchens, langes blondes Haar noch dran, liegt mit weit geöffneten Armen und Beinen mitten auf dem Weg.“ Prof. Goltz zeigte sich am Rande der Veranstaltung überzeugt, dass die Bosch-Stiftung und die Landesregierung Brandenburgs bei der Innenausstattung des Lepsius-Hauses, in das eine Forschungs- und Gedenkstätte einziehen soll, behilflich sein werden. Goltz erklärte, er sei froh, dass Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) nach „Irritationen“ nun wieder voll zu den Unterstützern des Projektes zähle. Zu den Anwesenden zählte gestern auch der Großneffe von Johannes Lepsius, Rainer Lepsius, Professor in Heidelberg. Er nannte seinen insbesondere durch den Roman von Franz Werfel „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ bekannt gewordenen Potsdamer Vorfahren „einen einzigartigen Repräsentanten der unbedingten Menschenrechtsvertretung ohne Rücksicht auf Nachteile“ und „eine Person der nicht kompromisshaft einknickenden moralischen Integrität“. Johannes Lepsius sei ein Vorbild, auch „wenn mir sein Gottvertrauen nicht mehr zur Verfügung steht“, so Rainer Lepsius.
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