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Landeshauptstadt: Glück und Schatten im Paradies

Uwe-Karsten Heye hat in Babelsberg eine Heimat gefunden – und die Geschichte seiner Eltern aufgeschrieben

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Uwe-Karsten Heye hat in Babelsberg eine Heimat gefunden – und die Geschichte seiner Eltern aufgeschrieben Von Sabine Schicketanz Er kommt aus dem Zentrum der Macht. Ein Dutzend Jahre hat an der Seite von Gerhard Schröder gearbeitet, war Willy Brandts Redenschreiber. Jetzt ist er auf dem Weg ins Paradies. Ein Paradies namens Babelsberg. Dort, am Rande des historischen Weberviertels, hat Uwe-Karsten Heye es gefunden – obwohl es damals eine Ruine war. Ein marodes Häuschen, gebaut Ende des 17. Jahrhunderts, das Rettung dringend nötig hatte. Gerettet ist es nun, geliebt wird es außerdem. Auch wenn der Hausherr selten zu Hause ist. Nur einen knappen Monat, nachdem die Sanierung beendet war, trat Heye seinen neuen Posten an. Seit Juli 2003 und noch bis Mitte des kommenden Jahres ist er Generalkonsul Deutschlands in New York City. Ein Pendler zwischen den Welten. Potsdam, sagt Uwe-Karsten Heye, gehöre zu den „Kleinoden in der historischen Landschaft Brandenburgs“. Für jemanden, der wie er „in historischen Kategorien denkt, in der eigenen Geschichte zu Hause ist“, war die Entscheidung für die Ruine auch ein Votum für den Erhalt der Geschichte. Denkmalschutz und seine Hürden inklusive. „Sanieren oder neu bauen ist nie die reine Freude, aber man darf sich nicht durch Hindernisse, durch gar nichts abschrecken lassen.“ Mit „Geduld und Zähigkeit“, sagt er, „gelingt das auch in Potsdam“. Das Flair der Stadt hat Heye schon Ende der Achtziger kennen gelernt. Der Verfall des Holländischen Viertels war damals, als er als Journalist für die ZDF-Sendung „Kennzeichen D“ arbeitete, sein Thema: „Wir haben dazu beigetragen, dass die Erhaltungssanierung in Gang gesetzt wurde“. Den entscheidenden Beitrag für Potsdam lieferte nun, mehr als zehn Jahre später, seine Frau Sabine Haack. Er habe in der Nähe von Berlin bleiben wollen, sie schlug Potsdam vor. „Wir haben lange gesucht, bis wir etwas Bezahlbares gefunden hatten.“ Und etwas, in das sich Uwe-Karsten Heye verlieben konnte. So nennt er es tatsächlich. Ein „Verliebtsein“ in ein kleines, wieder lebendig werdendes Viertel, das „auf wunderbare, altmodische Weise ein Stück Paradies“ für ihn geworden ist. Und wertvoller Rückzugsort war. Zwei Kapitel seines jüngst erschienenen Buchs, das den Titel „Vom Glück nur ein Schatten“ trägt, hat Heye dort geschrieben. Es ist die Geschichte seiner Eltern, eine unglaubliche Geschichte, eine, die er unbedingt aufschreiben solle, wie im schon vor Jahrzehnten Willy Brandt riet. Daran denken, daran arbeiten konnte er aber erst vor zwei Jahren, als er nicht mehr Regierungssprecher sein wollte. Erst dann, fünfzehn Jahre, nachdem er ihn bekommen hatte, öffnete er den Brief seiner Mutter, in dem sie auf siebzehn Seiten berichtet, wie sie die Kriegsjahre, die „nationalsozialistische Okkupation Deutschlands“, erlebt hatte. „Authentische Zeilen“, die ihren Sohn bewegten. So sehr, dass er gemeinsam mit seiner Schwester in Erinnerungen forschte, so sehr, dass er sie als „ehrliche Geschichte“ aufschreiben wollte. „Erinnerungsarbeit, die einen nicht los lässt“, sei es gewesen, sagt er. Manchmal schmerzhaft, „die eigenen Legenden, die sich wie Jahresringe um einen Baum gelegt haben, aufzudröseln“. 192 Seiten sind es geworden, ein individuelles Schicksal das für Schrecken, Schrecklichkeiten, zerstörte Träume steht. 1938 hatten Uwe-Karsten Heyes Eltern sich kennen gelernt, in Berlin. Er ist Künstler, angehender Opernsänger, sie eine Kaufmannstochter mit Hang zum Künstlerleben. Die Hochzeit, 1939 wird Tochter Bärbel geboren, 1940 Sohn Uwe-Karsten. Im Sommer 1941 wird Vater Wolfgang eingezogen. Er wird verletzt, desertiert, zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt. Muss zurück an die Front, desertiert erneut, kommt in ein Strafbataillon in Russland. Dort sei er vermisst, vermutlich gestorben, erfährt seine Frau nach Kriegsende. Doch Wolfgang Heye lebt. Er sucht nach seiner Frau, seinen Kindern – und findet ihre Namen auf der Passagierliste des Schiffs „Wilhelm Gustloff“, das voll mit Flüchtlingen auf der Ostsee von den Sowjets bombardiert wird und sinkt. Doch Ursel Heye, die Kinder leben. Sie sind nicht an Bord gegangen. Nur voneinander wissen sie nicht. Die Frau glaubt, ihr Mann ist tot. Der Mann glaubt, seine Frau und die Kinder sind tot. Erst zwanzig Jahre später erfahren sie voneinander. Vom Glück ist nur ein Schatten übrig. Er habe den jüngeren Menschen einen Eindruck geben wollen, wohin es führen kann, wenn die Demokratie verloren geht, sagt Heye über sein Buch. Es solle zum Nachdenken anregen, über „ziemliche normale Menschen“, die seine Eltern gewesen seien. „Nicht jeder ist zum Helden geworden.“ Aber jeder Einzelne sei gefordert gewesen, anständig zu bleiben. „Und das kann ich von meinen Eltern sagen.“ Die Furcht, dass sie es nicht gewesen sein könnten, „etwas zu finden, dass den eigenen Blick auf die Familie verändern muss“, hatte Heye trotzdem. Sie war es, die ihn davon abgehalten hat, den Brief der Mutter früher zu lesen. Nun sollen andere lesen. Die Geschichte seiner Eltern, und vielleicht irgendwann die der Größen der Sozialdemokraten. „Ich werde in Babelsberg sicher noch das ein oder andere Buch schreiben“, sagt Uwe-Karsten Heye. Anfragen gebe es viele. Allein die Ruhe dazu hat der 64-Jährige immer noch nicht. Er erlebt das Glück der späten Väter, sein Sohn Tom Benedict ist fast zwei Jahre alt, schon ein „frequent Traveller“ zwischen Potsdam und New York, „das hat ihn sehr munter gemacht“. Einen Gast wird Heye außerdem bald empfangen müssen. „Matthias Platzeck bin ich schon öfter beim Einkaufen über den Weg gelaufen – jedes Mal sagen wir, dass wir uns sehen müssen.“ Noch einer, für den das Paradies in Babelsberg liegt.

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