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Kirchentag in Potsdam: Gottesdienst und Gegröle

300 Menschen beten im Park Babelsberg – und treffen auf Männertag-Feiernde.

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Nein, Himmelfahrtswetter herrschte am Donnerstagvormittag wirklich nicht. Doch trotz bedecktem Himmel und kühlem Wind finden sich rund 300 Gäste zum evangelischen Open-Air-Gottesdienst vor dem Kleinen Schloss im Park Babelsberg ein. Hunderte Fahrräder stehen unweit davon am Ufer, daneben bereitet sich ein Blasorchester unter der weißen Fahne mit lilafarbenem Kreuz auf seinen Einsatz vor. Es werden Brötchen und Liedtexte verteilt. Auf dem Rasen haben es sich einige Familien mit Kindern bequem gemacht, doch ein Großteil der Besucher gehört zur Generation 50 plus, viele davon Aktive aus den Gemeinden.

Warum sie heute hier sind? „Weil wir Christen sind!“, sagt Eberhard Gollmer kurz und knapp. Für den Potsdamer und seine Frau ist der Open-Air-Gottesdienst im Park Babelsberg schon eine kleine Tradition. Zudem kümmert er sich als Quartiermeister-Helfer um 190 Potsdam-Besucher, die für den Kirchentag im Leibniz-Gymnasium Am Stern übernachten. „Denen sage ich dann heute allen gute Nacht!“, scherzt Gollmer. Später organisiert er auch noch das Nacht-Café in der Sternkirche mit, wo alle Besucher bis tief in die Nacht bei Kaffee und Tee beisammen sitzen können.

Bereits seit Januar hatte es Aufrufe in der Stadt gegeben, den zahllosen Besuchern des Kirchentags, der parallel in Wittenberg, Berlin und Potsdam stattfindet, Schlafplätze bereit zu stellen. Mit Erfolg: Sieben Potsdamer Schulen dienen als Unterkünfte, jedes 20. Bett, das von Privatpersonen zum Kirchentag bereitgestellt wurde, steht in Potsdam. Bis zu 3000 Gäste sind am Donnerstag in Potsdam, alle Hotels sind nahezu komplett ausgebucht.

Der Gottesdienst beginnt, der Altar besteht – protestantisch schlicht – nur aus einem Holztischchen mit Kruzifix und Kerze. Pfarrer Rainer Metzner zitiert einen Psalm über den Hass auf jene, die nicht an Gott glauben und nimmt Bezug auf den Anschlag in Manchester: „Jesus forderte uns dazu auf, unsere Feinde zu lieben und für unsere Verfolger zu beten.“ Der Kirchentag sei eine Chance für Christen, ihre friedliche Gesinnung zu zeigen, mahnt Metzner.

Auch für andere Besucher spielen der Anschlag und die Diskussion um die Sicherheit des Kirchentags eine Rolle: „Ich finde es wichtig, sich auch heute in die Öffentlichkeit zu wagen und ein Zeichen zu setzen, dass Religion nicht für Gewalt steht, sondern für Toleranz“, sagt Gunnar Schulz aus Potsdam. „Vor Gott sind wir alle gleich, egal ob Christen, Juden oder Muslime.“

Die Atmosphäre im Park ist entspannt und familiär: Es wird viel gesungen, das Blasorchester spielt, am Ende kommen sogar ein paar Sonnenstrahlen durch. Bei aller Andächtigkeit werden die Besucher des Gottesdienstes aber in regelmäßigen Abständen daran erinnert, dass der heutige Feiertag für manche eine ganz unreligiöse Bedeutung hat: Ohne Bollerwagen, dafür mit kleinen Miet- und Paddelbooten, kommen immer wieder angeheiterte Gruppen von Männern auf der Havel vorbeigeschippert, manche winken spöttisch, nicht selten schallt lautes Gegröle über Wasser. „Wir sehen uns in 40 Jahren, dann machen wir mit!“, ruft ein Herr auf einem Tretboot der versammelten Menge per Megaphon zu. Kurz zuvor hatten er und seine Begleiter mit Zigarren im Mund und Bierflaschen in der Hand vom Ufer an der Wassertaxi-Haltestelle abgelegt.

Die Besucher des Gottesdienstes lassen sich davon nicht beirren, ebenso wenig von den musikalisch verstärkten Fahrrad-Konvois, die hin und wieder den Weg zwischen Wiese und Kleinem Schloss passieren. Schließlich geht es beim Kirchentag nicht zuletzt um Frieden; Stadtkirchenpfarrer Simon Kuntze trägt sogar ein blaues T-Shirt mit großem „Peace“-Symbol.

Es war nicht das einzige Groß-Event am Donnerstag in Potsdam, auch rund um den Alten Markt fanden Dutzende Veranstaltungen statt: Hunderte Besucher pendelten zwischen Nikolaikirche, Museum Barberini und Stadtschloss. Aus dessen Innenhof tönt Gesang, gerade ist im Landtag das Forum zum Thema „Polen und Deutschland“ zu Ende gegangen, Besucher strömen auf den Alten Markt. Auch in der Nikolaikirche wird debattiert: „Migration als letzter Ausweg?“, lautet der Titel der Podiumsdiskussion. Mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben geht es musikalisch weiter, eher ungewöhnlich ist hingegen die „Tango-Messe“ und das Improvisationstheater, das hier im Laufe des Tages noch gezeigt wird. Ohnehin muss man sich als Besucher entscheiden, in welche Kirche man geht, denn in fast allen gibt es volles Programm, so etwa die etwas andere Luthermesse mit dem Titel „Barock trifft Rock“ in der Friedenskirche oder das Paulus-Oratorium unter der Leitung von Ud Joffe in der Erlöserkirche.

Für die meisten Kirchentagsbesucher geht es heute aber weniger um die vielen Veranstaltungen, sondern vor allem um das Miteinander mit anderen Gläubigen aus aller Welt: „Ich bin wegen der Gemeinschaft und dem Austausch hier“, sagt David Heinze, Küster auf Hermannswerder. „Der Kirchentag ist für mich auch ein Statement, dass der Glauben nicht tot ist.“ Eberhard Gollmer formuliert es so: „Nach dem Kirchentag lässt es sich immer leichter glauben!“

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