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Von Peer Straube: Griff nach der Macht mit Klientel-Politik

Sieben wollen auf den Chefsessel im Rathaus. Im PNN-Talk redeten sie über ihre Konzepte, aber auch übers Sparen

Von Peer Straube

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Damit hatten die Kandidaten augenscheinlich nicht gerechnet. Wie es denn mit ihrem Wissen über Potsdam bestellt sei, wollten PNN-Chefredakteur Michael Erbach und Potsdam-TV-Chefredakteur Oliver Geldener wissen, und bei einigen der sieben Bewerber um das Oberbürgermeisteramt machte sich im Gesicht ein wenig Unbehagen breit.

Gut 150 Gäste wollten sich am Donnerstagabend beim PNN-Wahltalk in der WilhelmGalerie informieren, Rat holen, wem sie am 19. September ihre Stimme geben sollen – denn alle waren gekommen: Amtsinhaber Jann Jakobs (SPD), Hans-Jürgen Scharfenberg (Linke), Barbara Richstein (CDU), Marie Luise von Halem (Bündnisgrüne), Marcel Yon (FDP), Benjamin Bauer (Die Andere) und Marek Thutewohl (Piratenpartei).

Während die meisten anderen Kandidaten ihre Potsdam-Fragen lösten, leisteten sich ausgerechnet die beiden aussichtsreichsten Bewerber, Jakobs und Scharfenberg, Patzer. Jakobs wusste nicht, dass eine halbe Stunde Parken in der Innenstadt 50 Cent kosten – er hatte einen Euro geschätzt. Scharfenberg vertat sich bei der Zahl der Kitas – er sagte 250, es sind tatsächlich 98. Lacher erntete von Halem, die nicht sagen konnte, in welcher Liga der SV Babelsberg 03 spielt. „Für Sportvereine ist die SPD zuständig“, sagte sie in Anspielung auf die Krampnitz-Affäre um Innenminister Rainer Speer und dessen Freunde aus dem Vorstand des Fußballvereins.

Bei der Frage, welche Projekte im Falle der Wahl als erstes in Angriff genommen würden, bedienten die Sieben ihre jeweilige Klientel. Von Halem will die Umsetzung des Klimaschutzkonzeptes schnell auf den Weg bringen, Yon dort ansetzen, wo „Potsdam die Chance hat, Geld zu verdienen“ und daher den Tourismus und den Wissenschaftsstandort stärken und die historische Mitte voranbringen. Bauer will das Gegenteil – das Leitbautenkonzept kippen, weil „es komplett ohne Bürgerbeteiligung erarbeitet“ worden sei, den Zehn-Punkte-Plus-Plan für die Jugend umsetzen und alternative Wohnformen unterstützen. Richstein steht für eine stärkere Bürgerbeteiligung, eine „effizientere“ Kitaplatzvergabe und – eine Schnittmenge zur Linken – „bezahlbaren Wohnraum für alle“. Für Letzteres will auch Scharfenberg „konkrete Maßnahmen“ ergreifen, den Bebauungsplan für das Griebnitzseeufer schnell fertigstellen und ein neues Tierheim bauen. Ganz allgemein „die Verwaltung wieder auf Trab bringen“ möchte Thutewohl. Jakobs konterte die unterschwellige Kritik mit einem recht nüchternen Vorhaben: Sollte er die zweite Amtszeit bekommen, werde er zunächst am Haushaltsentwurf für 2011 weiterarbeiten. Überhaupt, schwang Jakobs reihum die Geldkeule, müsse „jeder, der Oberbürgermeister werden will, konkrete Vorschläge machen“ – und wie er sie finanzieren will. Beim Thema Wohnungsbau stehe er dafür, dass die Pro Potsdam ihre Gewinne verwendet, um neue Wohnungen zu bauen und die Zahl mietpreisgebundener Wohnungen zu verdreifachen. Scharfenberg warf Jakobs daraufhin vor, sich mit fremden Federn zu schmücken, denn die Stadtverordneten hätten ihm diesen Auftrag „schon lange“ erteilt, seine Erfüllung sei „längst überfällig“.

Unterschiede gab es auch in der Frage, wie die zunehmend größer werdende Schere zwischen Arm und Reich bekämpft werden soll. Nach Yons Auffassung ist das „einzige Instrument“ die Investition in die „frühkindliche Bildung“ – dafür würde er auch die Pro-Potsdam-Gewinne ausgeben. Bauer will den Nahverkehr kostenlos machen, auch von Halem verspricht sich von einem „gut abgestimmten, bezahlbaren“ Nahverkehr eine Linderung des Problems, Thutewohl will dafür vor allem im Norden, in den dörflich geprägten Ortsteilen, den Takt verdichten, „weil man da nach 22 Uhr gar nicht mehr wegkommt“. Jakobs will das Problem bei der Bundespolitik angehen. Die steigenden Sozialausgaben blieben bei den Kommunen hängen – dagegen werde er über den Städte- und Gemeindebund weiterhin vorgehen. Auch der Bund müsse wie das Land Brandenburg ein Vergabegesetz mit Mindestlohn einführen, forderte er. Richstein nannte das „Augenwischerei“, weil über 80 Prozent der Aufträge nur der Baubranche zugute kämen. Konträr waren die Vorstellungen, wo Potsdam sparen könne. Yon würde das Geld für den Griebnitzsee-Uferweg sparen, Scharfenberg sieht „Sparpotenzial“ bei der Potsdamer Mitte, ohne allerdings konkreter zu werden, von Halem will keine Millionen mehr in die Sanierung der Humboldtbrücke stecken, Richstein weniger Geld für Gutachten ausgeben und „Fehlplanungen“ vermeiden, die Millionen verschlungen haben. Bauer will teure Rechtsstreite der Stadt vermeiden und die „Wohnraumvernichtung“ am Staudenhof stoppen. Jakobs sieht Sparpotenzial im „Personalmanagement“ und durch Restrukturierung der kommunalen Unternehmen, etwa durch Quersubventionierung des Verkehrsbetriebs.

Allem Zwist zum Trotz – Scharfenbergs Stasi-Vergangenheit spielte während des Kandidatendisputs keine Rolle. Auf Erbachs Frage nannte er seine Spitzeltätigkeit abermals „meinen größten Fehler“, doch müssten 20 Jahre ehrenamtliche Tätigkeit auch eine Rolle spielen.

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