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ZUR PERSON: „Große Chancen für die Ökonomie“

„Finanzkrise hat die gleiche Wurzel wie Klimawandel“ PIK-Chef Hans Joachim Schellnhuber warnt vor Rückschritten beim Klimaschutz und sieht Perspektiven

Stand:

Herr Prof. Schellnhuber, Sie beraten die Bundesregierung in Fragen des Klimaschutzes. Was sagen Sie der Kanzlerin zu Stimmen aus den Bundesländern, die die Klimaziele aufweichen wollen?

Der Kanzlerin kann ich selbstverständlich nur raten, keinesfalls von den strategischen Klimaschutzzielen Deutschlands und Europas abzuweichen. Dies wäre nicht nur fatal für den Klimaschutz weltweit, sondern würde auch das Vertrauen vieler Menschen in die Politik erschüttern. Aber ich bin sicher, dass Frau Merkel ihre überlegene Sachkompetenz und verfassungsmäßige Richtlinienkompetenz nutzen wird, um den nachhaltigen Kurs zu halten. Meine Beratungsrolle hat zurzeit einen weniger offiziellen Charakter als 2007, dennoch stelle ich meine Expertise weiterhin auf vielfache Weise der Regierung zur Verfügung.

Wie viele Jahre dürfen wir in Sachen Klimaschutz noch vertun?

Kein einziges! Wenn wir verhindern wollen, dass unbeherrschbare Folgen des Klimawandels eintreten, brauchen wir ein internationales Klimaschutz-Abkommen, das direkt an die Laufzeit des Kyoto-Protokolls anschließt und ab 2012 tiefe Einschnitte beim Ausstoß von Klimagasen vorschreibt. Die Folgen der Erwärmung zeigen sich immer deutlicher und sogar schneller als der Weltklimarat (IPCC) angenommen hatte. Das Eis auf Grönland und im Nordpolarmeer schwindet rasant und der Meeresspiegel steigt.

Was bereitet Ihnen zurzeit die größten Sorgen?

Was ich persönlich als höchst beunruhigend empfinde, ist die Erkenntnis, dass uns bislang eine Erwärmung um mehr als zwei Grad wohl nur aufgrund der gewöhnlichen Luftverschmutzung erspart geblieben sein könnte. Die in den so genannten Braunen Wolken enthaltenen Schadstoffe, insbesondere Schwefeldioxidtröpfchen, maskieren den Treibhauseffekt noch relativ stark. Ich sehe keinen vernünftigen Grund, jetzt beim Klimaschutz zu zögern – nicht aus naturwissenschaftlicher und ethischer Sicht, aber auch nicht aus ökonomischen Überlegungen.

Eine weltweite Rezession in Folge der Finanzkrise könnte viele Menschen den Job kosten. An Klimawandel denkt da kaum noch jemand.

Die Finanzkrise und der Klimawandel haben ganz offensichtlich eine gemeinsame Wurzel: das nicht-nachhaltige Wirtschaften. Dies muss man bedenken, wenn man die Probleme der heutigen und vieler künftiger Generationen lösen will. Es ist nachvollziehbar, dass jeder Mensch sich zuerst um sein eigenes Wohlergehen und das seiner Familie sorgt. Wir müssen heute den Zeithorizont aber weiter stecken und anerkennen, dass wir dabei sind, die Lebensgrundlagen der Menschheit auf diesem Planeten zu zerstören. Jetzt Klimaziele aufzuschieben wäre verantwortungslose Vogel-Strauß-Politik. Es wäre aber auch unökonomisches Handeln, denn die ökologische Transformation der modernen Industriegesellschaften ist die einzige erkennbare Möglichkeit, dauerhaftes Wachstum zu generieren.

Ist die aktuelle wirtschaftliche Depression nicht vielleicht sogar die Chance, für eine klimapolitische Wende, die die Wirtschaftskraft stärken könnte?

Mit einem „Global Deal“ für den Klimaschutz ergeben sich große Chancen für innovative Unternehmen. Ökonomen sprechen vom „first mover advantage“. Es zahlt sich aus, sich frühzeitig auf dem Markt zu positionieren, und Deutschland ist traditionell ein Standort für die Entwicklung neuer Technologien. Ich gehe davon aus, dass bis spätestens 2020 ein internationaler Emissionshandel entsteht. Dadurch wird der Ausstoß von Kohlenstoff einen angemessenen Preis erhalten, wodurch sich wiederum die Rahmenbedingungen für Produktion und Konsumption drastisch verändern werden. Unter anderem dürfte dies zu einer massiven Steigerung der Energieeffizienz führen, welche zum einen Kosten und andererseits die Energieabhängigkeit vom Ausland reduziert.

Die deutsche Autoindustrie leidet wegen der aktuellen Finanzkrise unter starken Absatzproblemen. Würden die Firmen nicht besser dastehen, wenn sie mehr sparsame Autos mit Zukunftstechnologie am Start hätte?

In der aktuellen Krisenstimmung wäre wohl auch der Verkauf von so genannten Ökoautos ins Stocken geraten. Ich sehe aber in der Tat einen starken Nachholbedarf bei der deutschen Autoindustrie. Das Segment der kleinen und sparsamen Fahrzeuge hat man weitgehend anderen überlassen. Nun wird es entsprechend schwer werden, Marktanteile zurück zu gewinnen und dauerhaft zu verteidigen.

Hat man hier in Deutschland den Anschluss verschlafen?

Deutsche Autos sind nach wie vor Verkaufsschlager in vielen Ländern. Aber damit das so bleibt, müssen natürlich wesentlich energieeffizientere Autos von unseren Unternehmen gebaut werden. Ich bin mir sicher, dass jene künftig weltweit stärker nachgefragt werden, zum Beispiel auf dem wichtigen Absatzmarkt USA. Vielleicht gelingt es sogar, ganz neue Wege zu beschreiten. Mit dem herkömmlichen Explosionsmotor wird ja nur ein Fünftel der eingesetzten Primärenergie in Bewegung umgewandelt. Das klingt für mich nicht nach einer zukunftstauglichen Technologie.

Sie sehen das Elektroauto als Zukunft. Ist das in den kommenden Jahren überhaupt realistisch?

Elektromotoren haben einen Wirkungsgrad von circa 95 Prozent. Wir könnten also im Individualverkehr den Energieeinsatz auf gut ein Viertel reduzieren. Damit wäre schon viel gewonnen, entscheidend ist aber auch, woher der Strom kommt. Ideal wäre der Einsatz von Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen. Auch dafür brauchen wir Innovationen im Bereich der Energiespeicherung, insbesondere bei der Batterietechnik, wo Deutschland einmal führend war. Und wir müssen die Infrastruktur ausbauen, sodass der Strom für Autos überall aus dem Netz gezogen werden kann.

Nach dem großen öffentlichen Interesse am Klimawandel im vorigen Jahr ist es nun ruhiger geworden. Fühlen Sie sich nicht manchmal wie der einsame Rufer im Walde?

Einsam? Nein. Ich erlebe sogar jeden Tag, dass der Klimawandel und die historische Verantwortung der Industrienationen immer stärker wahrgenommen werden. Und das nicht nur am Potsdam-Institut und in der Wissenschaft, sondern gerade auch bei den Unternehmern, Politikern und Verbänden.

Es gibt aber auch skeptische Stimmen.

Die Berichterstattung in den Medien folgt natürlich ihren eigenen Gesetzen. Dass es da zurzeit etwas weniger schrill zugeht, ist der Diskussion um den Klimaschutz eher zuträglich. Allerdings wird in gewissen Kreisen immer noch versucht, das Thema kleinzureden, zum Beispiel vor dem Hintergrund der Finanzkrise. Da fragt man sich wirklich, ob diese Wortführer den Ernst der Lage nicht begreifen wollen oder können. Ich bin generell zuversichtlich, dass die Gesellschaft die Wende zur Nachhaltigkeit schaffen wird. Noch sehe ich die Zeit aber nicht gekommen, das Rufen einzustellen.

Fragen von Jan Kixmüller

Hans Joachim Schellnhuber wurde 1950 im bayrischen Ortenburg geboren. Seit 1993 ist er Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Professor für Theoretische Physik an der Universität Potsdam. Zudem ist er Leitautor des dritten Sachstandberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und hat die Bundesregierung während der Doppelpräsidentschaft von G8 und EU (2007) in klimapolitischen Fragen beraten. ImRahmen der derzeitigen UN-Klimakonferenz im polnischen Posen (Poznan) hat Schellnhuber unter anderen mit dem britischen Ökonom Nicholas Stern und dem früheren EU-Kommissar Franz Fischler ein Memorandum zu einer gerechten Klimapolitik unterzeichnet. „Der Kampf

gegen den Klimawandel und der Kampf gegen globale Armut werden zusammen gewonnen oder verloren“, heißt es darin. Kix

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