Landeshauptstadt: Großes Kino auf der Badewiese
Seit Mai gibt es in Potsdams ländlichen Ortsteilen Kino – dort, wo die Filme auch gedreht wurden. So wie der Wallace-Krimi „Der Rächer“ in Groß Glienicke
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Groß Glienicke - Silvan Maugeri macht etwas, was es eigentlich gar nicht mehr gibt. Mit einem Kleintransporter fährt er übers Land und zeigt Filme. Doch ist er alles andere als ein „Kino-Fritze“, wie einst die Landfilmvorführer liebevoll genannt wurden. 20 Jahre nach dem Tod des Landkinos bringt Maugeri den Film zurück in die Provinz – wie einst mit Filmspule und Analog-Projektor. Als „Bild-Werfer“, wie er sich nennt, wird er gebucht, um an besonderen Orten zu besonderen Anlässen wie zu den UFA-Filmnächten alte Filme zu zeigen.
An diesem Samstagabend spannt Maugeri die weiße Kinoleinwand zwischen zwei Trauerweiden vor dem Groß Glienicker See auf. Die Badewiese wird zum Kinosaal: 300 Stühle stehen bereit, es gibt Nackensteaks und Rostbratwürste vom Grill sowie Fertig-Popcorn aus der Tüte. Am Wiesenrand stehen zwei Dixi-Klos. Je dunkler es wird, desto knapper werden die Sitzplätze. Ganze Familien pilgern mit Klapphocker, Liegestuhl und Picknickkorb ans Seeufer. Heute im Programm: „Der Rächer“, ein Schwarz-weiß-Schinken aus der legendären Edgar-Wallace-Reihe.
Es ist nicht so sehr der Krimi selbst, der an diesem Abend zum Groß Glienicker Blockbuster wird, sondern die Geschichte zum Film und die Idee, ihn zu zeigen. Dass „Bild-Werfer“ Maugeri seit Wochen durchs Potsdamer Umland tourt und auf der Ladefläche seines Mercedes-Transporters alte 35 Millimeter Filmstreifen durch einen 80er-Jahre-Projektor spult, ist eine Idee des Filmmuseums. Dort haben sie aus der Not, dass derzeit ihr Haus wegen Sanierung geschlossen ist, gleich eine ganze Veranstaltungsreihe geboren. Unter dem Motto „Land in Sicht“ wird seit Mai Filmgeschichte nicht als musealer Akt dokumentiert, sondern an ihren Entstehungsort zurückgebracht. Zehn Jahre nach der Eingemeindung von Eiche und Golm, Grube, Fahrland, Neu Fahrland, Satzkorn, Uetz-Paaren, Marquardt und Groß Glienicke erweist das Filmmuseum den Ortsteilen eine ganz besondere Referenz, indem es in den einstigen Dörfern nach Drehorten früherer Filmproduktionen gesucht hat.
Unterstützt wurde die Suche von Alexander Vogel. Der Kommunikationswirtschaftler recherchiert seit einem Jahr für sein Buch „Filmstadt Potsdam - Drehorte und Geschichte“. Im Oktober wird es erscheinen, herausgegeben vom Filmmuseum. „Darin wird die Stadt als Kulisse für Filme in den Vordergrund gestellt“, verrät Vogel. „Das wird ein filmischer Reiseführer durch Potsdam.“ Bis in die 50er-Jahre hätten viele westdeutsche Filmproduzenten noch in Potsdam gedreht – oder eben in dessen Umland. Auch in Groß Glienicke. Dort war es 1960 das Spandauer Tor im alten Gutspark, den Regisseur Karl Anton für die Wallace-Verfilmung nutzte.
Der Filmstreifen flimmert schon ein paar Minuten knisternd auf der Leinwand, ein Mord ist schon geschehen und Detektiv Michael Brixan ermittelt bereits eifrig, als das Spandauer Tor als Kulisse auftaucht. Von Buchautor Vogel während seiner Einführung bestens sensibilisiert, begrüßt des Groß Glienicker Publikum den heimatlichen Statisten sofort mit „Oh“ und „Ah“. Es war eine Film-in-Film-Sequenz, in der das Gutshof-Ensemble einen englischen Adelssitz doubelte. Nachdem in den 30er-Jahren die ersten beiden Wallace-Filme in Kopenhagen gedreht wurden, war „Der Rächer“ die erste Verfilmung, die in Berlin produziert wurde. „Wie hier in Groß Glienicke fanden sich immer wieder Drehorte, die den englischen Schauplätzen ähnelten“, weiß Buchautor Vogel. Unfreiwillig bekam die Groß Glienicker Wallace-Szene zudem einen aktuellen Bezug. Für die Arbeiten des in die Krimi-Handlung eingebetteten Filmdrehs stand dem Regisseur ein Baum im Weg, der ohne langes Zögern sofort gefällt wurde. Eine „Fällgenehmigung!“ wurde spontan aus dem Publikum gefordert.
„Der Rächer“ ist indes nicht der einzige Film, der in Groß Glienicke gedreht wurde. Für „Kolberg“, die aufwendigste Filmproduktion des Dritten Reiches, wurde nahe dem Gutspark auf einer Freifläche ein sogenanntes Außenstudio angelegt. Für den 1944 gedrehten Film, den Hitlers Propaganda-Minister Goebbels Mitte 1943 in Auftrag gegeben hatte, um den Durchhaltewillen der Deutschen zu stärken, diente die Stadt Kolberg in Ostpreußen als Vorbild. Deren Einwohner hatten sich 1806 heldenhaft gegen die französischen Besetzer unter Napoleon gewehrt. „Die ganze Stadt Kolberg wurde nachgebaut, um sie dann abzubrennen“, hat Vogel recherchiert. Für den Film sollen Soldaten in ganzer Kompaniestärke von der Front abgezogen worden sein, die als Komparsen in dem Film mitspielten. „Dass die für den Film ausgehobene Splittergräben bald danach als wirkliche Schützengräben dienten, ist Teil der Geschichte“, sagt Vogel.
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