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Von Guido Berg: Großübung mit Kernwaffen

Villa Schöningen ab Sonntag Museum des Kalten Krieges / Polens Außenminister schenkte Stabskarte

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Berliner Vorstadt - Wenige Tage vor der Eröffnung der Villa Schöningen durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am kommenden Sonntag wird deutlich: Das Museum an der Glienicker Brücke kann mit bemerkenswerten Exponaten aus der Zeit der deutschen Teilung und des Kalten Kriegs an den Start gehen. Erst gestern nahmen die Ausstellungsmacher um Kuratorin Lena Maculan eine gut erhaltene Uniform eines DDR-Grenzsoldaten als Schenkung entgegen. Während einer exklusiven Führung mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Johanna Clary am gestrigen Tage waren Handwerker gerade damit beschäftigt, einen sogenannten „Stalinrasen“ in die Ausstellung zu installieren – ein Stahlgeflecht mit scharfen Spitzen nach oben und unten. Diese „Stalinrasen“, wie sie nach Auskunft der Johanna Clarys im Westen hießen, wurden in Uferbereichen der innerdeutschen Grenze im Wasser versenkt, um Flüchtlingen die Flucht zu erschweren.

Von großem, auch wissenschaftlichen Interesse wird jedoch eine polnische Generalstabs-Karte sein, die der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski dem Museum schenkte. Sikorski, in früheren Jahren auch Journalist und 1988 Gewinner der World-Press-Photo-Awards, kam 2005 als polnischer Verteidigungsminister in den Besitz der Karte. Das für eine Großübung angefertigte Dokument zeigt das Szenario eines Kern- und Chemiewaffen-Krieges zwischen der Nordatlantischen Allianz (NATO) und den Warschauer Vertragsstaaten auf dem Territorium Mitteleuropas. Wie die 23-jährige Museumshistorikerin erläutert, zeige die Karte die beabsichtigten militärischen Antwortschläge des Warschauer Vertrages auf einen erfolgten Erstschlag durch die NATO. Zu sehen sei somit nicht ein Angriffsplan des Warschauer Vertrages – den „nuklearen Überfall auf Westeuropa“ durch den Warschauer Pakt – wie ihn Hans und Michael Rühle 2008 in einem viel diskutierten Artikel in der Neuen Züricher Zeitung als belegt ansahen. Hans Rühle ist ehemaliger Chef des Planungsstabes im Bonner Verteidigungsministerium; Michael Rühle leitet den Planungsstab in der politischen Abteilung der Nato in Brüssel.

Johanna Clary zufolge verdeutlicht die Karte, wie nahe die Welt an einer Katastrophe war, wie „der Atomkrieg in den Köpfen drin war“. Das Dokument, so die Österreicherin, „liest sich wie ein Krimi“. Zu sehen sind Angriffswellen von amerikanischen B-52-Bombern, kleine blaue Atompilze zeigen die Ziele, blaue Kreise das kontaminierte Gebiet. Großflächige rote Einschläge stellen die Reaktion der Warschauer Vertragsstaaten dar.

Häufig verwendetes Ausstellungsmittel in der Villa Schöningen sind Monitore an den Wänden. Auf den Bildschirmen sind Filme und grafische Animationen zu sehen; so zur Baugeschichte der von Ludwig Persius 1843 entworfenen Villa Schöningen, zur Geschichte der nahen Glienicker Brücke oder zum dreifachen Agenten-Austausch. Ein Raum widmet sich zudem der Zeit, als die Turmvilla als Kinderwochenheim diente.

Zu den Zeitzeugen, die sich bei den Ausstellungsmachern meldeten, gehört Helga Neumann, Heimleiterin von 1982 bis 1992. Ein Monitor zeigt ein Interview mit ihr, in dem sie erklärt, dass die Kinder in dem Heim gut aufgehoben waren und dass Grenzsoldaten für sie mitunter den Weihnachtsmann spielten.

Ein Bild der Ausstellung zeigt einen Grenzsoldaten, der den berühmten weißen Strich in der Mitte der Glienicker Brücke nachzieht, der die Grenze zwischen den Weltsystemen markierte. Genau dieser nun gealterte freundliche Mann ist auch Mitarbeiter des Museums.

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