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Landeshauptstadt: Gründerrolle in der Gartenstadt

Drewitz soll neu belebt werden. Das 3. Internationale Sommercamp soll Möglichkeiten aufzeigen, die jüngste DDR-Plattenbausiedlung samt sozialer Brennpunkte von ihrem Schmuddel-Image zu befreien

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Drewitz - Drewitz, jüngster Potsdamer Stadtteil der DDR-Planungen, innerhalb von fünf Jahren vom Reißbrett in die Realität umgesetzt und aufgrund des Umbruchs nie ganz fertig geworden. Inzwischen gilt die Plattenbausiedlung mit seinen 3000 Wohnungen im Südosten der Stadt als städtebaulich unberührtes Terrain. Ein Museum der ostdeutschen Architektur – denn auch 17 Jahre nach der Wende steht das Viertel, an dem die Arbeiten 1991 beendet worden sind, größtenteils unsaniert und unverhüllt da. Investitionen flossen vor allem in die Außenanlagen, die Wohnungen selbst sind nicht saniert worden. Besteht nun die Möglichkeit einer modernen Rundumerneuerung für den Teil zwischen Stern und Kirchsteigfeld?

Die Schwierigkeit der Planungen für Drewitz bestehe darin, die dort lebenden Leute am Standort zu halten und dennoch eine attraktive Stadterneuerung zu realisieren, sagt Carsten Hagenau. Der Sprecher des Zusammenschlusses Potsdamer Wohnungsunternehmen „Stadtspuren“ und Geschäftsführer von „Projektkommunikation“ hofft daher auch auf das 3. Internationale Sommercamp. Anfang September sollen Architekten, Landschaftsarchitekten und Studenten den Blick über die eigenen Vorstellungen zur Entwicklung des Gebietes Drewitz hinaus öffnen.

Eigene Ideen der Belebung des Stadtteils, der ursprünglich größer geplant worden war als er jetzt an der Nuthe-Schnellstraße liegt, sind vielfältig. Eine Machbarkeitsstudie für Drewitz soll daher von der Stadt in Auftrag gegeben werden – jedoch erst nach dem Sommercamp. Man wolle nicht schon vorher sagen, was alles möglich und was unmöglich ist, so Hagenau. Die eigenen Ideen der Wohnungsunternehmen will er aber während des Camps präsentieren. Beispielsweise die „Gründerrolle“ – eine künftige Meile der Existenzgründer im Gewerbebereich der Drewitzer Einkaufsstraße.

Die Rolle, geplant sind Fußgängerzone und Geschäftsstraße, lässt derzeit Flair und Betriebsamkeit vermissen. Flächen stehen leer, die kommunale Wohnungsgesellschaft Gewoba ist aufgrund der Unvermietbarkeit einst mit der Geschäftsstelle in Räume eingezogen. Ein Ausgangspunkt der Überlegungen sei daher, wie kann die Straße künftig attraktiv gestaltet werden? Die Räume könnten jungen Unternehmern zur Verfügung gestellt werden. Dazu sollen zentrale Räume für Konferenzen sowie ein Beratungsteam, das Jungunternehmer beim Start in die Selbstständigkeit unterstützen soll, realisiert werden. Angelehnt ist das Projekt an eine Berliner Idee am Boxhagener Platz im Friedrichshain. Lange Zeit unvermietete Gewerbeflächen sind dort inzwischen zu einer Adresse für Existenzgründer im Bereich Fashion geworden.

Auf eine solche Entwicklung hoffen Pro Potsdam und Carsten Hagenau auch in Drewitz. Dass solche Zentren in der Landeshauptstadt erfolgreich sein können, zeigt das Potsdamer Centrum für Technologie (pct) im Bornstedter Feld. Neben dem ersten „Gründerhaus“ wird derzeit ein zweites öffentlich gefördertes Zentrum gebaut. Auch in Babelsberg entsteht momentan ein solches Angebot für die Filmbranche, das GO:IN in Golm für Wissenschaftsausgründungen ist seit diesem Jahr fertig.

Die „Gründerrolle“ ist eine Idee, wie Drewitz künftig sein Schmuddelimage ablegen könnte, ohne dass durch Luxussanierung, Rückbau und Neubau die Bevölkerung austauscht wird. Selbst im Potsdamer Stadtentwicklungskonzept wird der Stadtteil prioritär als Gartenstadt klassifiziert. Die Idee dahinter sieht unter anderem Integrations- und Bürgergärten auf dem öffentlichen Straßenland vor. Flächen entsiegeln und durch die Bewohner frei bewirtschaften lassen, schlägt Hagenau vor. Solche Lebensbereiche zwischen Plattenbauten gibt es bereits in anderen Städten, ursprünglich schwappte die Welle des „community garding“ aus New York über den Pazifik und wird auch in Paris umgesetzt. Damit soll den Bewohnern Anreiz gegeben werden, sich wieder miteinander zu beschäftigen: „Bislang gibt es keinen Grund sich zu begegnen“, so Hagenau. Wohl wissend, wie sich die Bevölkerungsstruktur in Drewitz darstellt.

Die Anzahl Arbeitsloser in Drewitz ist innerhalb des vergangenen Jahres um 35 Prozent gestiegen. Inzwischen liegt die Arbeitslosenquote mit 12,3 Prozent am zweithöchsten in der Landeshauptstadt – an erster Stelle steht der Stadtteil Am Schlaatz (17,5). Drei Viertel der Arbeitslosen in Drewitz werden statistisch als langzeitarbeitslos registriert – der Spitzenwert in den Büchern der Stadt. Und noch eine Zahl: Ein Viertel aller Drewitzer erhält laut einem in dieser Woche vorgestellten Bericht Arbeitslosengeld I oder II.

Für die derzeitige Bevölkerungsstruktur sind die Wohngebiete nicht ausgerichtet, sagt Hagenau daher. Es sei damals bei den Planungen in der DDR nicht vorgesehen gewesen, dass sich die Menschen 24 Stunden am Tag in ihrer Wohnung oder dem unmittelbaren Gebiet aufhalten. Das führe zu Spannungen in der Nachbarschaft – zwischen jung und alt, zwischen deutsch und nichtdeutsch. Das Sommercamp soll neue Denkanstöße für die Belebung des Viertels aufzeigen. Die Aufgabe dabei ist klar definiert. Ein bewohntes Gebiet umgestalten, wobei alles erlaubt ist. Zumindest theoretisch. Selbst ein Rückbau von Wohnungen sei in den Planungen möglich, hatte Pro-Potsdam-Geschäftsführer Horst Müller-Zinsius im Vorfeld des Camps angekündigt. Bislang ein Tabu in der florierenden Landeshauptstadt, deren Wohnungsleerstand bei weniger als zwei Prozent liegt.

Sechs Teams, je ein Teamleiter und fünf Studenten, sollen sich zehn Tage lang mit Drewitz beschäftigen. 50 000 Euro wird das Camp vom 3. bis 14. September kosten, sagt Hagenau. Während die sechs Teamleiter Geld bekommen, müssten die Studenten ihre Kosten selbst ausgleichen. Sie werden bei Potsdamer Studenten der Fachhochschule wohnen. Zum ersten Mal werde jedoch auch ein Preis vergeben, so Hagenau. Studenten des Workshop können ein Stipendium der Pro Potsdam gewinnen: Das Unternehmen würde ein Studienjahr in Potsdam finanzieren.

Hagenau hofft auf eine Resonanz wie in den Jahren zuvor: Vor zwei Jahren ging es um den Sozialraum Stern/Drewitz/Kirchsteigfeld und den Schwerpunkt Brache Drewitz. Im Vorjahr ging es um das Schäferfeld am Baggersee und das Gebiet Am Schragen im Bornstedter Feld. Die Ergebnisse beider Sommercamps haben in die Planung und die politische Diskussion Eingang gefunden, resümiert Hagenau. Aus dem Jahr 2005 mit dem Thema Brache Drewitz hat sich beispielsweise die Idee der Stadtachsen in diesem Gebiet von Prof. Markus Löffler bis heute in den Planungen festgeschrieben. Selbst beim neuesten Projekt, der Ansiedlung des Möbelherstellers Porta in einem großen Möbelhaus, soll die Achsenbeziehung zwischen den drei Stadtteilen beachtet werden, forderten verschiedene Kommunalpolitiker. Für Wirbel sorgen hingegen die Überlegungen aus dem Camp des vergangenen Jahres bis heute. Das Schäferfeld Am Stern, nahe dem Baggersee, soll für neue Häuser genutzt werden. Garagenstandorte müssten dafür weichen – dagegen laufen seitdem vor allem Politiker der Linken Sturm. Wirbel, über den sich die Camp-Initiatoren freuen.

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