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Landeshauptstadt: Grüße aus Belize

So geht“s auch: Nach dem Abitur 2005 packte Florian Rummler den Rucksack und verschwand in die Karibik, um dort Aidskranken zu helfen

Stand:

Als ihn der Polizist an den Straßenrand winkte, wurde ihm mulmig. Hatte er seine Papiere dabei? War das Auto in Ordnung ? Aber weder Papiere noch Auto interessierten den Beamten im Karibik-Kleinstaat Belize. Der wollte nur eins: Mehr Kondome. Seinen Spitznamen hatte Florian Rummler da schon lange weg: Für die 10 000 Einwohner von Dangriga war der Potsdamer nur noch der „Condom Man“.

Dass es so kommen würde, hätte sich der ehemalige Humboldt-Schüler wohl kaum träumen lassen, als er im Juni 2005 sein Abitur in den Händen hielt. 19 Jahre alt, ausgemustert und mit der vagen Idee, ins Ausland gehen zu wollen, hielt er Ohren und Augen offen. Dann gab es da in der Zeitung diesen Bericht über das HIV-Projekt Belize. Gegen ein paar Monate in der Karibik hatte der medizinisch interessierte Arztsohn nichts einzuwenden. Also schrieb er dem Vereinsvorsitzenden Dr. Wolfgang Güthoff nach Kleinmachnow. Man traf sich und einigte sich schnell. Zehn Monate sollte der Potsdamer in Dangriga arbeiten. Entgelt: ein Zimmer mit Meerblick.

So kam es, dass Florian am 17. August 2005 mit Rucksack, Laptop und Gitarre bepackt nach Übersee aufbrach. „Ohne große Erwartungen oder Pläne“, wie er sich heute erinnert. Das letzte Stück von Cancun in Mexiko nach Belize fuhr er mit dem Bus: zehn Stunden lang durch den Dschungel. Als er im Städtchen Dangriga ankam, kannte er dort niemanden. „Ein bisschen abenteuerlustig muss man schon sein“, gibt er zu. Eingelebt hat er sich dann schnell. „Ich fühlte mich gleich angenommen.“ Eines habe er gelernt während seiner Zeit in Belize: „Man braucht keine Angst haben, man trifft immer Leute, die einem helfen.“

Nach und nach fanden sich auch seine Aufgaben. Die Sache mit den Kondomen zum Beispiel. 20 000 Stück ließ Rummler aus Deutschland einfliegen. Die Präservative klebte er in Mini-Infobroschüren. Darin ist auf Englisch, Spanisch, Kreol oder Garifuna zu lesen, wann HIV-Ansteckungsgefahr besteht und wann nicht. Die Bilder für die „Bedienungsanleitung“ malte Florian selbst. Eine Potsdamer Druckerei hat die Flyer vervielfältigt. Bezahlt hat das Ganze die Deutsche Botschaft – in Jamaika. Die ist für den 280 000-Einwohner-Staat Belize nämlich zuständig. Die derart präparierten Flyer verteilte Florian dann kostenlos in Clubs und Bars in der ganzen Stadt. Die Idee wurde ein Renner: Lehrer fragten nach Nachschub. Für die 700 Mitarbeiter einer Zitrusfarm gab Florian eine Aufklärungsstunde. Das belizianische Ministerium für „human development“ – „menschliche Entwicklung“ – und das Gesundheitsministerium bedankten sich bei ihm. „Es war das erste Mal, dass es so ein Aufklärungsprojekt gab.“ Dabei ist Belize der Staat mit der höchsten HIV-Rate in Mittelamerika. Die Flyer wurden inzwischen von anderen Aids-Aufklärungsorganisationen in Belize nachgedruckt und landesweit verbreitet. Und Nachschub an Kondomen soll es in diesem Herbst auch geben, so Rummler: Nochmal 20 000 Stück.

Spätestens nach der Radiosendung am ersten Februar kannten alle Dangriganer den „Condom Man“. Eine Stunde lang beantwortete Florian live Hörerfragen zum Thema Aids. Danach hätten ihn Leute auf der Straße angesprochen und sich bei ihm bedankt. „Das sind Momente, in denen man merkt, dass die Arbeit was bringt.“

Ein ähnlicher Moment muss das Gespräch mit der 30-jährigen Frau aus dem Abendschulkurs gewesen sein. Jeden Mittwoch von 15 bis 20 Uhr hatte Florian unterrichtet: Biologie, Hygiene, HIV-Aufklärung, Musik, ein bisschen Geografie, aber auch Konfliktbewältigungsstrategien. Über Gewalt zu Hause diskutierte er mit seinen 20 Schülern im Alter von zwölf bis 40 Jahren, die sich eine normale Schule nicht leisten konnten. Natürlich immer wieder auch über Aids. Pädagogische Vorerfahrungen? „Das war alles learning by doing“, erzählt er. Es sei die größte Motivation, „wenn man sieht, was die Schüler alles nicht können.“ Mit der Gitarre und ein paar Liedern konnte der offenherzige Deutsche die Schüler für sich gewinnen:„Sobald Musik ins Spiel kommt, sind die Belizianer fröhlich“, so seine Erfahrung. Die 30-jährige Schülerin verriet ihm nach zehn Monaten, dass sie alles, was sie bei ihm gelernt hatte, ihren Nachbarskindern beigebracht hat. Dabei hängt der Potsdamer bestimmt genauso sehr an seinen Schülern, wie die an ihm. Traurig war er, als er zum Schulabschlussfest vor zwei Tagen nicht dabei sein konnte.

„Die Situationen, die man erlebt hat, sind im Herzen gespeichert für immer“, weiß der Zurückgekommene. Und dazu gehörten das Bangen vor Hurrikan Wilma genauso wie Surfen in der Karibik, Schnorcheln an unberührten Korallenriffs, Ausflüge zu alten Maya- Tempeln, die Zeit als Chauffeur beim mobilen Frauenarzt oder ein Kinderfest für behinderte Kinder am Strand, zu dem dann die ganze Stadt gekommen war. Auch extreme Erfahrungen hat der Potsdamer gemacht: Einen guten Freund hat er an Aids sterben sehen. „Das war das erste Mal, dass ich direkt mit dem Tod konfrontiert wurde“, erinnert er sich bewegt. Angesichts der Schicksale von Aidserkrankten habe er sich oft hilflos gefühlt. Ein anderes Problem war die Korruption: Bei Spendenpaketen aus Deutschland sei es jedesmal ein Kampf gewesen, die Sachen durch den Zoll zu bekommen.

Seit einer Woche ist Florian wieder in Potsdam. Braungebrannt ist er und hat ein gutes Stück karibischer Lebensart mitgebracht. Er habe sich dabei erwischt, wie er im Park Sanssouci unbekannte Menschen grüßt, erzählt er. Das mache man so in Dangriga. Jetzt will er sich „erstmal wieder einleben“, meint er, „und überblicken, was ich alles erlebt habe“. Wie es dann weitergeht, wird sich zeigen.

Was hat der zwanzigjährige Florian heute mit dem Abiturienten vor einem Jahr zu tun? „Die Schulwelt ist komplett weg“, sagt er. So viele neue Eindrücke, Erlebnisse, Erfahrungen: „Das Jahr war überwältigend.“ Sein Fazit: „Ich würde jedem raten, sich selbst herauszufordern und irgendwas zu machen.“ Es muss ja nicht gleich ein anderer Kontinent sein: „Es ist einfach toll, aus den normalen Strukturen auszubrechen und zu sehen, wie andere Menschen miteinander leben.“ Jana Haase

Infos über das HIV-Projekt

www.hiv-belize.net

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