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Landeshauptstadt: Gummipuppe mit Puls

Seit November gibt es in Potsdam ein Notfall-Trainingszentrum für Mediziner. Mit sensibler Technik wird dort geübt, was im Ernstfall sofort klappen muss

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Gleich fünf Notfallhelfer kümmern sich um den Mann. Beinahe wäre er ertrunken. Doch er ringt um sein Leben. „Habt ihr Adrenalin gegeben?“, fragt Intensiv-Krankenpflegerin Marleen Ziprian. „Was ist mit dem Blutzucker? Und was haben wir jetzt für Temperatur?“

Jede Minute zählt. Die vier Ärzte und die eine Schwester beugen sich über den Patienten, zwei machen Herzdruckmassage, einer zählt mit – 30-mal drücken, zweimal beatmen. Ein weiterer liest Werte vom Monitor ab. „Okay, wir haben einen Rhythmus“, sagt endlich jemand. Der Mann wird überleben.

Das dramatische Szenario spielt sich allerdings nicht an einem Seeufer ab, sondern im Trainings- und Simulationzentrum des Klinikums Ernst von Bergmann, und der ertrunkene Patient ist eine Gummipuppe, ausgestattet mit diversen technischen Raffinessen und Funktionen. Auch Marleen Zyprian ist an diesem Tag nicht als Intensivpflegerin, sondern als Kursleiterin dabei. Gleich wird sie die Rettungsaktion der Teilnehmer auswerten. Seit November 2014 gibt es das moderne Trainingszentrum des BergmannKlinikums, das sich in der restaurierten Bergmann-Villa in der Berliner-Straße befindet. 1891 ließ der Chirurg Ernst von Bergmann, nach dem das Potsdamer Klinikum benannt wurde, dort eine repräsentative Villa für seine Familie bauen. Zuletzt wurde das Haus als Bürogebäude genutzt, nun kehrt die Medizin hierher zurück.

1,2 Millionen Euro investierte das Klinikum in das Haus mit Tagungs- und Konferenzräumen, vor allem aber in die Hightech-Ausrüstung des medizinischen Trainingszentrums. Es ist das einzige in Brandenburg, das in diesem Umfang praxisbezogene und realitätsnahe Weiterbildung für medizinisches Personal, Fachärzte, Rettungssanitäter oder Pflegepersonal anbietet. Die Teilnahme erfolgt in den meisten Fällen auf freiwilliger Basis. „Solche Kurse sind aber unheimlich wichtig – und gut nachgefragt “, sagt Torsten Schröder, Leiter des Trainingszentrums und selbst Anästhesist, Intensiv- und Notfallmediziner. „Wer will den Notfall schon am echten Notfall üben?“

Das würde auch keinem Patienten gefallen. Doch Ärzte einer Klinik, die etwa zehnmal im Jahr mit schlimmen Unfällen und Unfallverletzten konfrontiert sind, können dabei kaum Routine entwickeln. Auch das Pflegepersonal auf den Stationen hat im Durchschnitt nur selten mit akuten, lebensbedrohlichen Situationen zu tun. Doch wenn es passiert, muss jeder Handgriff sitzen, das Team funktionieren, müssen medizintechnische Begriffe abrufbar sein, die international standardisierten Abläufe eingespielt sein. Und Mediziner aus dem Ausland müssen mit deutschen Fachbegriffen und Mentalitäten vertraut sein.

Am Samstagvormittag – in ihrer Freizeit – spielen die fünf Kursteilnehmer deshalb gleich acht Notfälle durch, darunter Unterzuckerung, Radunfall und Herzinfarkt. Dabei wird auch der Umgang mit einem Defibrillator trainiert. „In dem Gerät steckt ’ne ganze Menge Strom, das macht natürlich Angst“, sagt Marleen Ziprias. Zum Trainingszentrum gehören auch ein Operationssaal sowie ein Intensivmedizin-Krankenzimmer. Hier wird alles von der OP-Situation bis zur stationären Versorgung von Patienten geübt. Für das Geld, das die technische Ausrüstung kostete, kann man sich ein Einfamilienhaus bauen, sagt Schröder. Allein eine der zwei lebensgroßen Übungspuppen kostet 200 000 Euro. Dafür ist der Simulationsmann ein echter Profi: Er kann atmen, hat Puls und Blutdruck, Zuckerwerte, Temperatur. Er kann aber auch beatmet werden, das Legen eines Tubus lässt sich hier gefahrlos üben. Die Atemwege des Gummi-Patienten können aber verschleimen, dann gibt es ein Alarmsignal, ganz wie auf der echten Station, und der Helfer muss schnellstens absaugen.

Vom Nebenraum aus kann der Kursleiter an Bildschirmen zuschauen, wie der Patient medizinisch versorgt wird, wie mit ihm geredet und auf dessen Ängste und Sorgen eingegangen wird. „Die Puppe kann die Augen öffnen und schließen und sie kann sprechen“, sagt Torsten Schröder. Wenn er will, lässt er die Puppe jammern oder über Schmerzen klagen. Und sieht auf dem Monitor, ob der Arzt unwirsch wird oder geduldig bleibt. Dass die Menschen und also auch Patienten immer älter werden, spiegelt sich auch in der Schmerztherapie und dem Delirmanagement wider: Den Umgang mit solch extrem verwirrten, traumatisierten Menschen muss man üben, sagt der Mediziner. Noch in diesem Jahr soll es außerdem Kurse zur Notfallbehandlung von Kindern und zu geburtshilflichen Notfällen geben.

Kein Interesse an solchen Schulungen zeigten bisher Schauspieler oder Regisseure der Branche TV-Arztserie. „Wenn wir Ärzte das sehen, finden wir manches natürlich sehr lustig“, sagt Schröder. Im Fernsehen soll eben alles unterhaltsam sein – und nicht unbedingt echt. Das ist im wahren Leben natürlich anders, und Marleen Ziprian schaut genau hin, ob die Teilnehmer alles richtig machen. Und schreitet notfalls ein: „Stopp, ihr müsst dem eigenen Herz-Rhythmus jetzt eine Chance geben“, ruft sie und lässt die Herzmassage an der Gummipuppe beenden.

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