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Landeshauptstadt: Handauflegen beim Großen Kurfürsten

Geschichte zum Anfassen – ab sofort gibt es im Potsdam Museum Führungen für Sehbehinderte

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Langsam gleiten Wolfgang Schoellers Fingerkuppen über den Sandstein. Dann bleiben sie am Hals der Figur hängen. „Ach, der Große Kurfürst hatte ein Doppelkinn“, sagt Schoeller und lacht. Heike Roth, Führerin im Potsdam Museum, ergänzt: „Ich glaube, zu dem Kopf gehörte ein untersetzter Mensch.“ Die kleine Gruppe Museumsbesucher am gestrigen Donnerstag lässt sich Zeit für das Entdecken der Exponate. Vor allem entdecken sie alles mit ihren Händen. Denn Wolfgang Schoeller und Stefanie Seidel sind fast komplett blind, Torsten Rind besitzt nur noch einen sehr kleinen Sehrest. Gestern bekommen auch sie einen Eindruck davon, was im Potsdam Museum gezeigt wird.

Spezielle Führungen für Blinde und Sehbehinderte durch die Dauerausstellung des Museums soll es jetzt regelmäßig geben. „Einmal in Quartal und auf Anfrage“, sagt Ute Meesmann, im Museum für die Führungen verantwortlich. Der erste Rundgang mit Sehbehinderten sei ein Testlauf. „Bitte sagen Sie uns nachher, was wir anders oder besser machen können, Sie können das besser beurteilen“, bittet sie die Teilnehmer, insbesondere Stefanie Seidel, Leiterin der Potsdamer Sozialwerk-Beratungsstelle für Blinde.

Das Feedback von Stefanie Seidel und Wolfgang Schoeller fällt am Ende positiv aus. Besonders haben sie sich über die vielen Tast-Objekte aus fast allen Modulen der Ausstellung gefreut. „Und Sie haben alles sehr anschaulich und beschreibend erklärt, genau auf unsere Bedürfnisse ausgerichtet“, sagt Schöller. Der Berliner, Hochschuldozent im Ruhestand, geht oft und gern in Museen, selbst in Gemäldegalerien. Denn mit den richtigen Hilfsmitteln wie Tastvorlagen könne man sogar von Malerei einen Eindruck bekommen. Er war sechs Jahre alt, als er Probleme mit den Augen bekam, konnte die Erblindung aber noch lange herauszögern. Jetzt erkennt er nur noch hell und dunkel. Als Späterblindeter gehört Schoeller zu der großen Gruppe von Sehbehinderten, die die Braille-Schrift nicht beherrschen. Ihm sind Audioguides eine große Hilfe, sagt er. Wichtig dabei sei, dass sie für die Zielgruppe modifiziert werden: nicht mit Information überfrachtet, stattdessen eher beschreibend. Gern würde er sich nach einem Museumsbesuch abends alles noch einmal anhören. „Ein Audioguide auf CD zum Mitnehmen – das kann ja nicht so teuer sein“, schlägt er vor. Grundsätzlich aber sind alle drei Beteiligten zufrieden. „Ich bin erleichtert“, sagt Heike Roth und freut sich.

Mit einem Korb voller Anschauungsobjekte war sie zum Termin gekommen. Darinnen auch eine Box mit Handschuhen. Denn vieles im Museum ist so empfindlich, dass es mit bloßen Händen nicht angefasst werden darf. Das Ertasten ist aber ein wichtiges Mittel für die Sehbehinderten, um sich quasi mit den Händen ein Bild zu machen. Zunächst ist das Faksimile der Gründungsurkunde Potsdams dran, ein Schriftstück aus Ziegenhaut und mit einem fetten Siegel. Dann erklärt Heike Roth, woher das Relief des Großen Kurfürsten stammt. Stefanie Seidel ertastet Lorbeerkranz und Kringellöckchen. Ein paar Schritte weiter dürfen sie den Stuhl, ein Nachbau des Modells aus Schloss Paretz, erfühlen, dann verteilt Heike Roth Seidenstoffproben, wie sie damals als Wandbespannung oder Schneiderstoff dienten. „Welche Farbe ist das?“, fragt Schoeller, und Stefanie Seidel rätselt, welches Muster das sein könnte. Beim Gang durch die Räume gibt die Museumsmitarbeiterin stets genaue Anleitung: Ecken, Stufen, rauf und runter. Für die Krone der Garnisonkirche und das vergoldete Schild des Hoflieferanten müssen wieder die Handschuhe angezogen werden. Der Nachbau eines Steinschlossgewehrs Kaliber 17 Millimeter, fast 1,5 Meter lang und mindestens fünf Kilogramm schwer, geht von Hand zu Hand, ebenso die Grenadiermütze. Lange bleiben die Besucher am Modell des Holländischen Viertels und an einem Modell der historischen Innenstadt stehen. „Das ist sehr gut gemacht“, sagt Stefanie Seidel. Ihre Finger gleiten über das Straßennetz und lesen Straßennamen in Blindenschrift. Kühle Metalloberfläche zeigt Wasser an, Stadtkanal und Havelufer. Heike Roth nimmt indes die Finger des Berlin-Besuchers und zeigt ihm den Weg vom Bahnhof zum Museum.

In der Abteilung „20. Jahrhundert“ geht es an einer Zellentür des einstigen Gestapo-Gefängnisses in der Bauhofstraße vorbei; das Pendel mit dem DDR-Emblem, das einst über der Glienicker Brücke hing, ist auch interessant. Als zuletzt eine große Bombe aus dem zweiten Weltkrieg berührt werden kann, ist Schoeller ganz angetan. „Das hätte ich heute Morgen nicht erwartet.“

www.potsdam.de/potsdam-museum

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