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Landeshauptstadt: Havelbucht-Runde mit Ecken und Kanten

Große Teile des Ufers touristisch nicht erschlossen / Wirtschaftsförderung will Konzept im August vorlegen

Stand:

Brandenburger Vorstadt - Nur etwa die Hälfte des 30 Kilometer langen Ufers im Potsdamer Stadtgebiet ist für Radfahrer und Wanderer zugänglich. Das Beispiel Neustädter Havelbucht zeigt, dass die Ursachen hierfür teils objektiv und teils durch Eigentum bedingt sind.

Vom Europaradweg R1 hinter dem Persius-Speicher an der Zeppelinstraße gelangt der Radwanderer in eine der schönsten innerstädtischen Ecken Potsdams. Wie ein archäologisches Zeugnis ragt die Bastion am Schillerplatz, die einst eine Wasserpumpe umschloss, aus der Erde. Ein Förderverein hat das in der DDR-Zeit zugeschüttete Bauwerk dem Vergessen entrissen und will es wieder aufbauen: als Aussichts- und Versammlungsort, vielleicht als Orientierungspunkt für den Wanderer.

Letzterer wendet sich stadtwärts, passiert die Seilfähre, die alle 15 Minuten auf die Insel Hermannswerder übersetzt. Gedränge herrscht manchmal wegen der radelnden Schüler vom dortigen Evangelischen Gymnasium auf dem schmalen Plattenweg.

Am „Bootshaus Kiewitt“ geht“s am Ufer nicht weiter. Also umkurven, am Hochhaus Nr. 27 und an den Anglern mit ihren am Geländer gelehnten Ruten vorbei. Ist hier Radfahren erlaubt? Hinweise fehlen. Der Blick schweift zur blauen Havelbucht-Brücke und den fünf Punkthochhäusern in Wassernähe. Im „Havelgarten“ lässt es sich unter den riesigen Schirmen gut im Schatten sitzen, mit einer Bohnensuppe für 2,60 oder einer Pizza Hawaii für 4,50 Euro stärken. Hinter dem Kiewitt-Wohnblock führt ein Sandweg vorbei, eine Art Trampelpfad. In Ufernähe sind „noch freie Liegeplätze zu vermieten“. Es handelt sich um den Bootsplatz des Kommunalen Immobilienservices (KIS). Endgültiger Stopp dann am Eisenbahndamm, der hautnah zwischen Motorbootclub (MBC Havelbucht e.V.) und Wohnhäusern vorbeiführt. Die von den Bewohnern gefürchtete Führung einer Autostraße parallel zur Bahn ist laut Flächennutzungsplan der Stadt noch nicht vom Tisch. Die Fortsetzung der Wanderung in Richtung Havel bedarf einiger Suche. Immerhin verweist ein blau-weißes Quadrat auf einen „Fernwanderweg“. Der führt am MBC-Zaun vorbei zum Wasser und zu den Treppen der Havelbucht-Brücke. Unter Graffiti-Geschmiere ist die Beschriftung erkennbar: Ausführungszeit Sept./Okt. 1994 und April/Mai 1995. Dann heißt es, Fahrrad huckepack nehmen, 30 Stufen auf die Brücke, bester Betonweg, auf der anderen Seite die Treppen wieder runter. Der herrliche Fernblick schweift zum Brauhaus- und Telegrafenberg und zum eingerüsteten Hampel-Speicher, in dem die neuen Loft-Wohnungen der Speicherstadt entstehen. Auf der anderen Seite blinkt zwischen den bunten Havelbucht-Plattenbauten der Glockenturm der Friedenskirche im Park Sanssouci. Zur Zeit Friedrichs II., der den heutigen Sanssouci-Park urbar machen ließ, gab es an der Havelbucht allenfalls ein paar Fischer. Das Land war Wildnis; es heißt, hier heulten die Wölfe.

Ein Zaun trennt das Ufer vom Wanderweg. Hinter dem Zaun schmale Gartengrundstücke, eine verlassene Laube, eine „Bootsvermietung“. Nahe der Unteren Planitz schafft eine mit Stahlträgern verstärkte Holzbrücke die Verbindung zum Festland. Links verbietet ein Schild „Privatweg“ den Durchgang, darunter warnt es rot: „Vorsicht bissiger Hund“. Und am Ende des kleinen Stichweges ein Eisentor des Motorbootclubs Potsdam. Ansonsten gibt es Fernwärmerohre und wilde Autoparkplätze und zu beiden Seiten der Brücke ein Schild „Kein Winterdienst“. Ein Pkw Renault will über die Holzbrücke. Doch ein Radfahrer ist voraus. Beides geht nicht, also wartet das Auto, bis der Radler auf der Gegenseite angekommen ist. Er passiert eine weitere Eisenbahnbrücke, gelangt an riesigen alten Weiden am Zaun des „Yachthavenbetriebes“ (Betreten durch Unbefugte verboten!) vorbei zum Hochhaus Wall am Kiez 1: Beton-Tisch mit Bänken in Ufernähe, die ungeschlachte Figur einer liegenden dicken Frau auf der Erde – Kunst am Bau aus DDR-Tagen. Ein Brücklein führt zum Haus Nummer 27 an der Breiten Straße. Unter dem Brücklein fließt das Abwasser aus einer innerstädtischen Sammelanlage in die Havelbucht. Es stinkt nach Fäulnis. Dann kommt der Bootsanleger des „Clubs Maritim“. Am langen Motorboot prangt die Nationalität: DDR Berlin.

Die Sandbar, die alte „Seerose“, lädt zum Verweilen ein, bei Regen „indoor“. Liegestühle stehen bereit, die Sonnenhungrigen können sich hier bei einem Drink bräunen lassen, bis die Sonnenscheibe hinter den Solardächern der Wohnanlage an der Zeppelinstraße untergeht. Taiwanesische Marmorlöwen verabschieden den Radler von diesem himmlischen Ort, der Uferweg führt zu einer kleinen Gedenkstätte: Zwei Säulenstümpfe und Sandsteinreste erinnern an das „Marquisat“ genannte Haus an der Zeppelinstraße 167, in dem zuerst Voltaire und dann Lessing wohnten.

An der Ruine der Ufergaststätte ist die Havelbucht-Runde zu Ende. „Wir danken Ihnen für Ihren Besuch“ heißt es auf dem verrostenden Schild des vormaligen China-House. Die TLG Immobilien hatte Pläne: Abriss der alten Betongaststätte und Neubau von Seniorenwohnungen mit Gewerbeteil. „Diese Konzepte stehen nach wie vor auf der Tagesordnung“, meint Stadtplanungschef Andreas Goetzmann. Doch es tut sich nichts.

Die Potsdamer Wirtschaftsförderung mit ihrem Leiter Stefan Frerichs hat ebenfalls Pläne für die Havelbucht. „Tourismus ist schließlich ein Wirtschaftsfaktor“, meint Frerichs. Die innerstädtische Perle müsse touristisch aufgewertet und besser erschlossen werden. Fördergelder will er beschaffen. Zunächst aber kommt im August ein Konzept. Vielleicht wird dann die Wassernähe der Breiten Straße besser sichtbar, vielleicht steigt dann eine Fontäne nach Genfer Beispiel in den Potsdamer Himmel. Vielleicht werden manche verbarrikadierten Uferabschnitte geöffnet. Wer weiß.

Günter Schenke

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