Landeshauptstadt: Heftig gewaltig
Michael Glöß und Peter Schilling stecken hinter dem Internet-Phänomen „Heftig.co“. Der schnelle Erfolg überraschte die beiden Potsdamer
Stand:
Zwei Potsdamer wollten eigentlich nur eine kleine Geschäftsidee testen. Was dann geschah, ließ sogar Bild.de und Spiegel Online blass aussehen
So könnte ein Artikel über Michael Glöß und Peter Schilling anfangen, wenn er auf deren Internetseite Heftig.co stehen würde – emotional, zugespitzt und neugierig machend aufs Weiterklicken. Denn das ist das Markenzeichen und das Erfolgsrezept des Internet-Portals.
Vor allem über das soziale Netzwerk Facebook verbreiten sich die Herz-Schmerz-Geschichten, die Heftig aus dem Internet zusammenträgt, rasant: Etwa die von dem Jungen, der von seinem sterbenden Hund Abschied nimmt oder die von dem 283 Kilo schweren Alkoholiker, dessen Leben sich durch eine Chat-Bekanntschaft verändert. Auch drollige Tierbilder, Listen oder Videos über erstaunliche Begebenheiten finden sich hier zuhauf. Schnell avancierte Heftig damit zu einem Internet-Phänomen: Die erst im Februar gestartete Webseite hat mehr geteilte Beiträge in sozialen Netzwerken als Bild.de und Spiegel Online zusammen.
Wer hinter dem Coup steckte, wusste lange niemand, das Impressum gab bis vor kurzem den Karibik-Staat Belize an. Erst Ende Mai offenbarten die Macher, die von ihrem Erfolg selbst überrollt wurden, ihre Identität: „Wir wollten das Ganze erst mal nur testen“, sagt Glöß jetzt. „Ein so schnelles Wachstum hatten wir wirklich nicht erwartet“, meint Schilling.
Die beiden Potsdamer sind keine Unbekannten in der digitalen Wirtschaft: Der in Berlin geborene und in Werder aufgewachsene Glöß rief nach seinem BWL-Studium in Potsdam die Webseite Cojito.de ins Leben, auf der man Bars, Clubs und Kneipen bewerten konnte. 2008 gründete er den Chat-Dienst Toksta, auch an der Potsdamer Verkehrs-Service-Seite mobil-potsdam.de. wirkte er maßgeblich mit. „Dabei war ich im Studium nicht unbedingt der Gründer-Typ“, sagt der 35-Jährige.
Auch der aus Brandenburg/Havel stammende Schilling kann auf einige erfolgreiche Projekte zurückblicken: 2000 gründete er im letzten Jahr seines BWL-Studiums in Potsdam das Internet-Portal „iCook“, ein Koch-Netzwerk, das aktuell unter dem Namen „Kochmeister“ rund 50 000 Mitglieder hat.
Vor etwa zwei Jahren traf Schilling durch eine Bürogemeinschaft auf Glöß, der sich wie er für das sogenannte virale Marketing interessierte – die Idee zu Heftig war geboren. Ähnlich ausgerichtete amerikanische Webseiten wie Buzzfeed dienten als Vorbild: „Wir haben verschiedene Plattformen analysiert und dann ganz unterschiedliche Eigenschaften herausgearbeitet, die besonders gut funktionierten“, erklärt Glöß. „Diese kombinierten wir dann für den deutschen Markt. Das ist unser eigener, origineller Ansatz.“
Die Heftig-Macher betrachten ihre Seite daher auch nicht als journalistische Plattform: „Wir kuratieren einfach bestimmte Geschichten“, sagt Glöß. „Im Vordergrund stehen zeitlose Themen und Emotionalität; aktuelle Nachrichten sind für uns nicht sonderlich interessant“, fügt Schilling an.
Die Heftig-Beiträge werden nach bestimmten Kriterien ausgewählt, erklären die beiden: keine Politik, keine Promis, keine makaberen oder brutalen Storys, wie sie in der Boulevard-Presse kursieren. „Journalismus ist meist sehr negativ in seiner Berichterstattung“, sagt Glöß. Die Heftig-Geschichten hingegen sollen stets ein gutes Gefühl bei den Lesern hinterlassen – oder besser: bei den Leserinnen, denn vor allem Frauen zwischen 25 und 45 teilen die Inhalte von Heftig. „Ich glaube, auch viele Männer lesen die Beiträge, aber sie teilen sie seltener in sozialen Netzwerken“, vermutet Glöß.
Natürlich haben beide auch ihre Lieblinge: Schillings mag besonders das Zeitraffer-Video eines Mannes, der sieben Tage lang den Sternenhimmel über Teneriffa gefilmt hat. Glöß’ Favorit ist ein Beitrag über einen ausgebrochenen Zirkuselefanten, an den sich eine Unterschriften-Aktion der Tierschutz-Organisation PETA anschloss: „Sie wollten 500 000 Unterschriften für ein Verbot von Wildtieren in Zirkussen sammeln, kamen aber nur auf etwa 190 000“, erinnert sich Glöß. „Dann stellten wir den Beitrag auf unsere Seite und nach drei Tagen hatten sie die 500 000 zusammen.“
Kritik mussten die beiden auch schon einstecken: Diverse Medien wiesen darauf hin, dass viele Heftig-Beiträge schlicht von anderen Webseiten übernommen und nur minimal verändert wurden. Doch Glöß und Schilling haben angekündigt, zukünftig mehr eigene Geschichten zu bringen und Heftig zu professionalisieren. Auch deshalb gaben sie nun ihre Identität preis, denn das Zwei-Mann-Projekt braucht Mitarbeiter. Ein Redakteur aus Potsdam wurde schon gefunden, mittelfristig soll das Team auf etwa fünf Personen anwachsen.
Die wollen von etwas bezahlt werden, deswegen suchen Glöß und Schilling derzeit nach Marketing-Partnern für ihre bislang fast werbefreie Seite. „Wir werden Heftig aber nicht mit Werbung vollknallen“, verspricht Glöß. „Die bisherige Form der Seite ist ja auch ein Grund dafür, dass uns so viele Menschen anklicken.“
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