Landeshauptstadt: Heilige Arbeit
Der 62-jährige Feliks Berul hat sich als Bestatter für jüdische Potsdamer selbstständig gemacht
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Nauener Vorstadt – Der Sarg ist ein einfacher Kasten. Aus unbehandeltem Holz hat Feliks Berul ihn gezimmert. Die Wände sind mit Holznägeln zusammengefügt. Metall oder Plastik sind nach jüdischem Brauch nicht erlaubt, erklärt der 62-Jährige. Jetzt steht die Kiste im Kellergeschoss der Trauerhalle auf dem jüdischen Friedhof. Und – der Eindruck drängt sich auf: Wartet.
„Mindestens ein Sarg muss immer gebrauchsfertig sein“, sagt Feliks Berul. Unter seiner Schildmütze aus Leder trägt er eine Kippa. Seit anderthalb Jahren ist er als Bestatter und Grabpfleger für jüdische Potsdamer selbstständig. Der robuste Mann nimmt sich Zeit, wählt die Worte mit Bedacht, und das nicht nur, weil ihm das Deutsche nicht ganz so flüssig über die Lippen kommt. Die Arbeit auf dem Friedhof „gilt als heilig“, sagt er.
Sorgfältige Vorbereitung ist dabei besonders wichtig. Denn wenn Berul zu einem Toten gerufen wird, muss alles schnell gehen: Der Leichnam soll möglichst noch am Todestag beerdigt werden, erklärt er. So verlange es die jüdische Religion. Auch wenn die deutschen Gesetze das kaum möglich machten – zum Beispiel, weil die Todesursache festgestellt werden muss. Acht mal war es im vergangenen Jahr so weit.
Nach dem Tod, erklärt Berul, sind alle Juden gleich: „Mann oder Frau, das ist egal.“ Aus weißer Baumwolle näht er ihnen Hose, Hemd, Jacke, Handschuhe, Socken und eine Bedeckung für Nacken und Gesicht. Auch die Särge sollen gleich aussehen. Einer steht in der Werkstatt unter der Trauerhalle am Pfingstberg bereit. Auch eine Dose mit Erde aus Israel befindet sich dort. Ein paar Krumen davon kommen in jeden Sarg, erklärt Berul. Die Erde lässt er sich in kleinen Tütchen von Bekannten aus Israel mitbringen.
Vor der Beerdigung, die der Rabbiner vornimmt, wäscht Berul die Leichen und spricht dazu besondere Gebete für jedes Körperteil. Dreimal muss diese Waschung wiederholt werden – dafür gibt es unter der Trauerhalle einen Waschtisch aus Marmor. Jetzt im Winter hat Berul dort allerdings kein laufendes Wasser und muss es in Kanistern mitbringen. Auch der Aufzug, mit dem die Särge in die Trauerhalle gefahren werden konnten, ist kaputt: Das Haus müsste dringend renoviert werden, erklärt Michail Tkach, der stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Potsdam.
Über die Gemeinde kam Berul zu seinem Beruf. Als er vor fast vier Jahren aus Moskau nach Potsdam kam, hatte er keine Erfahrungen als Bestatter. Er war in der Tourismusbranche tätig gewesen. „Ich bin Jude, meine Urahnen kommen aus Deutschland“, erklärt er den Entschluss zum Auswandern: „Es war eine schwierige Entscheidung.“
Nur wenige Wochen nachdem er in Potsdam angekommen war, starb seine Frau. „Nun, das ist das Leben“, sagt Berul. Zunächst arbeitete er ehrenamtlich auf dem Friedhof. „Die ganze Geschichte der Juden findet sich hier aufbewahrt“, sagt er. Vor anderthalb Jahren wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit, unterstützt mit Geldern des „Regionalbudgets“. Dafür musste Berul sogar einen „Business-Plan“ schreiben. Geholfen hat ihm dabei Julia Lexow-Kapp vom Existenzgründer-Lotsendienst für Migranten bei der Berlin-Brandenburgischen Auslandsgesellschaft. Angst oder Scheu vor Toten kannte Berul nicht: „Warum auch?“, fragt er. „Man muss Angst vor den Lebenden haben.“ Jana Haase
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