Homepage: Heimspiel für Gitti
Ein stiller und ein umjubelter Film von der HFF eroberten die Berlinale
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Gitti weiß ganz genau was sie will. Zum Beispiel, dass sie in ihrer Kontaktanzeige etwas jünger erscheint, als sie ist. „Wissen Sie, ich bin vielleicht schon 70, aber ich bin es einfach noch nicht“, sagt sie dem Vermittler am Telefon und streicht dabei über ihre Taille. „69 J., 40er Figur, kein Omatyp, blond, sucht Ihn“, steht in ihrer Anzeige. Gitti weiß auch ganz genau, was sie nicht will: Keinen Raucher, keinen Trinker, keinen „Lahmarsch“ und keinen „Kleenen“. Es gibt einige Interessenten, aber leicht haben sie es nicht bei Gitti.
Gitti lebt in Berlin-Pankow, ist Sing le und auf „Männer-Jagd“. Die Studentin der Potsdamer Filmhochschule (HFF) Anna Deutsch hat ihr nun mit dem Dokumentar-Porträt „Gitti“ ein Denkmal gesetzt. Der Film lief auf der Berlinale in der Reihe „Perspektive Deutsches Kino“, und hat so manchen überrascht. In einem Filmblock mit zwei gar nicht so schlechten Kurzfilmen über mehr oder weniger gestörte Vater-Sohn-Beziehungen hatte es „Gitti“ nicht leicht, zumal der Film „Polar“ (Regie: Michael Koch) mit André Hennicke prominent und passgenau besetzt war.
Doch dann kam Gitti. Nicht nur auf die Leinwand, sondern auch auf die Bühne des Colosseum-Kinos im Prenzlauer Berg. Nachdem der Film schon vom Publikum umjubelt wurde, erhielt sie brandenden Applaus. Ein Heimspiel für Gitti aus Pankow, das sie völlig gelassen nahm. Ob sie die Kameras in ihrer Wohnung irgendwann vergessen habe, wollte jemand wissen. „Nee“, lautete ihre knappe Antwort. Ob sie nun mit dem ehemaligen Polizisten aus dem Film zusammen sei, wollte ein anderer wissen. Nein, das nicht, aber ihr Neuer war auch bei der Polizei. Heiterer Jubel im Saal.
Gitti hat als Näherin in der DDR gelebt, sie habe alle beschummelt, schließlich hätten die anderen das auch gemacht. Vier Kinder hat sie groß gezogen. Doch sie hatte „keen Glück mit de’ Männer“. Was macht man also, wenn man mit 70 nicht alleine bleiben will – man sucht sich den Passenden per Anzeige. Das darf dann weder der „geile Bock“ aus Kuba sein, noch der Gemüsehändler von nebenan, der nie Zeit hat. Dass sie immer wieder Männer von der Polizei hatte, kann sie sich selbst nicht erklären. Sie zählt verschiedene Männer auf. Da waren eben immer auch „Offizielle“ dabei, wie sie sagt.
HFF-Studentin Anna Deutsch war für den Film mit ihrem Kameramann Mark Dölling bei Gitti mehr oder weniger eingezogen. Kein einfaches Unterfangen, zumal das Team bis zum Schluss nicht wusste, ob sich auch Männer bei ihrem ersten Besuch bei Gitti filmen lassen. Wenn es klingelte, ist die Regisseurin runter gelaufen und hat den „Interessenten“ kurz die Dreharbeiten erklärt. Mit Erfolg, zwei haben zugestimmt, dass die ersten Minuten des Treffens gefilmt werden.
Solche Filme laufen immer Gefahr, ihre Hauptdarsteller vorzuführen. Doch bei Gitti brauchte Anna Deutsch keine Sorge zu haben, denn sie führt sich zu gerne selbst vor – bis zu weinseligen Tanzeinlagen zu schmachtender Schlagermusik. Gitti sagt schließlich, sie sei am Anfang wegen der Film-Idee skeptisch gewesen, doch es habe sich eine Freundschaft mit der Regisseurin entwickelt. „Und dann habe ich den Film so gemacht, dass er erfolgreich wird“, sagt sie ohne mit der Wimper zu zucken. Und erntet wieder begeisterten Beifall im Kinosaal.
Das Alter stand auch im Mittelpunkt des Films „Havet – das Meer“, den ebenfalls ein Student der HFF auf die Berlinale brachte. Jöns Jönsson hat diesen eher ruhigen, kleinen Film in seiner schwedischen Heimat gedreht. Das etwas hermetische Leben des gealterten Paares Agneta und Pelle läuft so dahin. Doch wenn Pelle aus dem Fenster auf das Meer schaut und trocken feststellt, dass noch niemand baden geht, weil das Wasser zu kalt sei, dann spürt man ein ungreifbares Unheil, das über allem schwebt. Vielleicht stehen sich die beiden selbst im Weg, vielleicht können sie sich nach all den Jahren nicht mehr leiden. Pelles Atem geht schwer, viel zu schwer.
Ein wenig Bergmann, ein wenig Tarkowskij, Jöns Jönsson hat von den Vorvätern des Films gelernt. „Keine schönen Bilder“, wollte Kameramann Thomas Moritz Helm machen. Vielmehr notwendige Bilder. Und so folgten der Kameramann und die Szenenbildnerin Gisela Hesserdem dem gestalterischen Konzept des Regisseurs Robert Bresson.
Als Pelle und Agneta zu einer Geburtstagsfeier eingeladen sind, bricht Pelle nachts auf dem Heimweg zusammen. Jetzt meint er zu hören, dass doch schon jemand im Meer schwimmt. Agneta ist bei ihm, sie wartet mit ihm auf den Krankenwagen, Pelle im Arm. Es scheint etwas aufgebrochen zu sein, an diesem Abend. Beide haben begriffen, dass sie nicht alleine sind. Jan Kixmüller
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