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Landeshauptstadt: Hilfe aus zwei Koffern
Seit einem Jahr ist das Arztmobil des Bergmann-Klinikums in Potsdam unterwegs. 170 Obachlosen konnte seitdem geholfen werden
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Sie wollen solche Potsdamer erreichen und versorgen, die sich aus Scham oder Unwissen nicht in eine Arztpraxis trauen: Seit einem Jahr ist in der Landeshauptstadt das Arztmobil unterwegs, drei Ärzte und Pflegekräfte der Rettungsstelle des Klinikums „Ernst von Bergmann“ suchen den Kontakt zu Hilfebedürftigen ohne Obdach und bieten ihnen ohne bürokratische Hürden eine medizinische Grundversorgung. Das Angebot habe sich bewährt, bilanzierte Potsdams Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger (parteilos) am gestrigen Donnerstag: Rund 170 Menschen seien über die mobile Arztpraxis – ein speziell ausgestatteter Krankenwagen – behandelt worden. Mit einem so guten Zuspruch habe man nicht gerechnet, sagte die Sozialbeigeordnete: „Das zeigt: Wir brauchen dieses Angebot.“
Sprechstunden in dem Mobil gibt es jeden Donnerstag von 9 bis 10 Uhr an der Obdachlosenunterkunft am Lerchensteig und von 10.30 Uhr bis 12 Uhr an der BBW-Akademie, Konsumhof 1 - 5. Für die anfänglich angebotenen Sprechzeiten am Potsdamer Hauptbahnhof und an der Suppenküche der Volkssolidarität habe es dagegen keine Nachfrage gegeben, berichtete Horst Schütz, Oberarzt der Notaufnahme und einer der beteiligten Rettungsärzte. In der Standortfrage habe man in den vergangenen Monaten einiges ausprobiert: „Potsdam hat durch die Berlinnähe eine eher verdeckte Obdachlosen-Szene“, so seine Erfahrung.
Bei den Beschwerden, mit denen die Obdachlosen zum Ärztemobil kommen, handele es sich oft um virale Atemwegserkrankungen bis hin zur Lungenentzündungen, aber auch schmerzende Rücken oder kleinere Verletzungen kommen vor. „Fast alle Patienten haben ein chronisches Alkoholproblem“, sagte Schütz. Typisch sind Begleiterscheinungen wie Magenschmerzen. Auch psychische Erkrankungen seien häufig. Die Patienten zu einer Weiterbehandlung im Krankenhaus zu überzeugen, gelinge jedoch in den seltensten Fällen: „Da gibt es eine riesige Hemmschwelle.“ Deshalb werden die Obdachlosen praktisch nur ambulant im Ärztemobil versorgt: „Wir waren aber überrascht, wie viel man aus zwei Koffern helfen kann“, sagte Schütz. An Bord haben das Team unter anderem Stethoskope, Messgeräte für Blutdruck und Blutzucker sowie Basismedikamente und Verbandsmaterialien.
Die Kosten für das Projekt – etwa 25 000 Euro pro Jahr – trägt derzeit das städtische Klinikum, wie Elona Müller-Preinesberger betonte. Verhandlungen mit den Krankenkassen über eine Beteiligung seien bislang erfolglos geblieben. Man werde aber weiter verhandeln, so die Sozialbeigeordnete. Denn das Argument der Krankenkassen, die obdachlosen Patienten seien nicht versichert, gelte meist nicht. Der überwiegende Teil der Betroffenen sei als Sozialhilfe- oder Hartz-IV-Empfänger gesetzlich versichert und könne lediglich die Versicherungskarte nicht vorweisen. Die Krankenkassen könnten durch ein Angebot wie das Ärztemobil sogar Geld sparen, weil Krankheiten eher erkannt und behandelt und so ein womöglich teurerer Klinik-Aufenthalt abgewendet werden könne, argumentiert die Sozialbeigeordnete.
Als zusätzliches Angebot für Obdachlose in der Winterzeit ist ab sofort auch wieder der Kältebus unterwegs und bringt nach Anruf Hilfesuchende zur Obdachlosenunterkunft der Awo im Lerchensteig (siehe Kasten).
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