
© Stefan Gloede
40 JAHRE NACH MÜNCHEN-ATTENTAT: Hingefahren, dagewesen, entkommen
Der Geher Peter Frenkel feierte sein Olympia-Gold-Jubiläum mit dem israelischen Athleten Shaul Ladany
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Die kurze Version geht so: „Ich bin hingefahren, ich war da, ich bin entkommen.“ Die lange Version der Schreckensereignisse vom 5. September 1972 kann sich der israelische Athlet Shaul Paul Ladany bis heute jederzeit in allen Einzelheiten vor Augen führen. „Ich erinnere mich an jedes Detail“, sagt der 76-Jährige. Ladany überlebte das Massaker bei den Olympischen Spielen von München. Elf seiner Teamkollegen fielen den palästinensischen Terroristen damals zum Opfer. Der Geher konnte sich retten: Von den Geräuschen der Geiselnehmer in den Nachbarappartements des Olympiadorfes wach geworden, erfasste er die Situation vor seiner Unterkunft und konnte geistesgegenwärtig über einen Balkon im zweiten Stock flüchten. „Einer der Terroristen stand fünf Meter von mir entfernt, ich sah sein Profil“, erzählt er.
Beim Fest im Museumshaus „Im Güldenen Arm“, bei dem der Potsdamer Geher und Fotograf Peter Frenkel am Freitag gemeinsam mit Sportkollegen und Weggefährten an seinen Olympiasieg in der 20-Kilometer-Distanz vor 40 Jahren erinnerte, war Ladany Ehrengast und wurde auch von Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) begrüßt. Frenkel wurde seinerzeit Zeuge der München-Massakers: Er war in einem Gebäude gegenüber des Teamquartiers der Israelis untergebracht. Das Gedenken an die Ereignisse war ihm so wichtig, dass er Shaul Ladany, der in München als Geher in der 50-Kilometer-Distanz angetreten war, in Israel ausfindig machte und nach Potsdam einlud (PNN berichteten). „Wir sind Freunde geworden“, sagte Frenkel am gestrigen dritten Tag des Besuches.
„Ich bin sehr froh und dankbar, dass Peter mich eingeladen hat“, sagte Ladany. Trotz seines Alters trainiert der emeritierte Professor für Mathematik und Statistik immer noch jeden Morgen. Sein jährliches Geburtstagsritual: „Ich gehe für jedes Jahr meines Lebens einen Kilometer.“ Begleitet wird er dabei von Freunden, die mehr oder weniger lang durchhalten, wie er erzählte. Auch an Wettkämpfen nimmt Ladany, der bis heute den Weltrekord in der 50-Meilen-Distanz hält, teil – nicht nur im Gehen. Mitte September will er zum mittlerweile 52. Mal einen 4,5-Kilometer-Schwimmwettbewerb über den See Genezareth bewältigen. Zur Vorbereitung trainiert er in Potsdam im Hotelpool: „Heute bin ich 50 Bahnen geschwommen, morgen werden es hoffentlich 60“, sagte der dreifache Großvater, der im Herbst mit seiner Frau das 52. Ehejubiläum begehen kann.
An ein Ende seiner Sportkarriere habe er nach dem München-Attentat nie gedacht. Dass weitere Terroranschläge möglich gewesen wären, sei ihm zwar klar gewesen, er habe sich davon aber nicht beirren lassen. Im Oktober 1972, einen Monat nach den Anschlägen, gewinnt er bei der Weltmeisterschaft im schweizerischen Lugano die Goldmedaille in der 100-Kilometer-Distanz.
Dem Tod war Shaul Ladany in München bereits zum zweiten Mal nur knapp entronnen: Als in Belgrad geborenes Kind jüdischer Eltern war er mit seiner Familie lange vor den Nazis auf der Flucht, wurde schließlich aber verhaftet und ins Konzentrationslager Bergen-Belsen gebracht. Der Familie gelang nach sechs Monaten die Flucht. Auch das sind Ereignisse, die Ladanys Gedächtnis langzeitspeichert. Als er Jahrzehnte später bei einer Reise durch Deutschland zufällig an der Gedenkstätte für das Konzentrationslager vorbeikommt und sich für einen Besuch entscheidet, erkennt er an einem Modell des Lagers, das dort ausgestellt ist, aus der Erinnerung einen Fehler: Ein Zaun war nicht an der korrekten Stelle, wie er gemeinsam mit dem Gedenkstättenleiter anhand von Luftfotos schließlich auch nachweisen konnte.
In Israel wurde Ladany später nicht nur Professor, sondern zog als Armeeoffizier auch viermal in den Krieg für sein neues Heimatland. Seine bewegte Lebensgeschichte hat er in der Autobiografie mit dem Titel „King of the road: from Bergen-Belsen to the Olympic games“ – König der Straße: von Bergen-Belsen zu den Olympischen Spielen – beschrieben. Nach einem deutschen Verlag sucht er noch. Eine italienische Biografie wird Ladany nächste Woche bei der Mailänder Buchmesse persönlich vorstellen.
Am morgigen Sonntag reisen Ladany und Frenkel nach München, wo sie am offiziellen Gedenken an die Opfer des Massakers teilnehmen. Dass die beiden Sport-Veteranen auch danach in Kontakt bleiben, scheint ausgemacht. Ladany hat Frenkel bereits zum Gegenbesuch nach Israel eingeladen. Dort wohnt er in der Wüste Negev, wo es nach seiner Beschreibung zwar selten regnet, aber trotzdem nicht wie in der Sahara aussieht. Als Touristenattraktion zählt zum Beispiel die Festung Masada. Zu dem 2400 Jahre alten Bauwerk führt Ladany seine Gäste besonders gern. Wegen des Ausblicks: „Kennen Sie die Fernsehbilder von der ersten Mondlandung?“, fragt er. „Die sind da gefilmt worden.“ Ladany lacht. „Die Szenerie sieht jedenfalls genau so aus.“
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