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Homepage: Historische Verwerfungen

Zeitnah: Der achte „Wegweiser“ der Militärhistoriker beschäftigt sich mit der Region Kaukasus

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Es war schon so etwas wie eine Punktlandung. Der Band zum Kaukasus in der Reihe „Wegweiser zur Geschichte“ des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Potsdam (MGFA) erschien just zum Ausbruch der neuerlichen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Georgien und Südossetien. Wie aktuell die Militärhistoriker mit ihren Publikationen sein können, beweist Herausgeber Bernhard Chiari gleich im Vorwort, das die Feuergefechte zwischen georgischen und südossetischen Truppen in der Nähe der südossetischen Provinzhauptstadt Zchinwali Anfang Juli zum Aufhänger nimmt – die Bekanntgabe der Buchveröffentlichung selbst datiert vom 23. Juli.

Der Band reiht sich ein in Publikationen unter anderem zum Kosovo, Afghanistan, oder dem Nahen Osten. Zielgruppe sind in erster Linie Bundeswehrsoldaten, die für ihren Auslandseinsatz ein handliches, kleines Buch mitbekommen, das ihnen nicht nur einen Eindruck von Land und Leuten geben soll, sondern vor allem auch die Hintergründe lokaler Konflikte erhellen soll. Was die Wegweiser auch durchaus leisten. Wer etwa die 288 Seiten zum Kaukasus gelesen hat, darf sich ohne weiteres als Kenner der Region betrachten.

Der Band werde derzeit stark nachgefragt, sagte Herausgeber Chiari gestern den PNN. In Georgien sind bereits seit 1994 Militärbeobachter der Bundeswehr im Rahmen der UNOMIG-Mission stationiert, jeweils 35 Soldaten sind dort im Auslandseinsatz. Darüber hinaus würden sich aber auch viele Dienststellen für den Wegweiser interessieren, die mit den Auslandseinsätzen im weitesten Sinne zu tun haben oder diese nach außen kommunizieren müssen. Hinzu kommt die Ausgabe des Verlags Ferdinand Schöningh für den Buchhandel. Der Wegweiser zum Kosovo von 2005 ist mittlerweile bereits in der dritten Neuauflage erschienen.

Drei wesentliche Einflüsse arbeitet der Band für den Kaukasus heraus: die Islamisierung vor allem des Ostens seit dem 8. Jahrhundert, Georgien und Armenien als christlichen Kulturraum des Byzantinischen Reiches und drittens den starken russischen Einfluss seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Ausgangspunkt der aktuellen Entwicklung ist schließlich der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Entstehung der unabhängigen Staaten Georgien, Armenien und Aserbaidschan, die mit einer Renaissance des nationalen Gedankens und der Wiederauferstehung der Religion einhergegangen sei. Der Band arbeitet historische Entwicklungslinien bis zur Eskalation nationaler und territorialer Auseinandersetzungen seit den späten 80er Jahren nach. „Die komplizierte Konfliktlage kann nur verstehen, wer neben ethnischen, kulturellen und militärischen Strukturen auch das wirtschaftliche und internationale politische Umfeld kennt“, schreibt MGFA-Chef Hans Ehlert. Wozu der Band von der Antike bis zu den georgischen Wahlen 2008 (von Kaukasus-Intimus und Botschafter a.D. Dieter Boden) ausführliche Einblicke gewährt.

So erfährt man beispielsweise zu Südossetien, dass der Streit um die Unabhängigkeit des Gebietes bereits vor den jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen über 1000 Menschen das Leben gekostet hat, über 20 000 Georgier flohen in den Süden, während rund 100 000 Südosseten aus Georgien nach Nordossetien flüchteten. Während ein Referendum vom November 2006 in Südossetien international keine Anerkennung fand, bekräftigte die EU wiederholt ihr Ziel der territorialen Integrität Georgiens. Eine Haltung die gerade jetzt wieder im aktuellen Konflikt deutlich wird, der Westen pocht auf die territoriale Unversehrtheit Georgiens, während Russlands Präsident Medwedew gestern Südossetien und Abchasien anerkannt hat. Während der Westen und allen voran die USA versuchen, die Souveränität Georgiens zu sichern, scheint Russland hier eher eine Spaltung zu beabsichtigen. 1990 schon hatte das zuvor zur Georgischen Sowjetrepublik zählende Südossetien seine Souveränität deklariert, Georgien reagierte mit dem Ausnahmezustand, militärische Konfrontationen und Waffenstillstandsvereinbarungen folgten mehrfach, zuletzt 2004. So überraschend kam er also nicht, der neuerliche Gewaltausbruch auf dem Kaukasus.

Zumal, und das erhellt der vorliegende Band gut, die Auseinandersetzung schon weit zurück in historischer Ferne angelegt war. Die Osseten gelten als Alanen iranischer Herkunft, die seit dem 5. Jahrhundert von Byzanz bzw. Georgien aus christianisiert wurden. 1767 erfolgte die Eingliederung in das Russische Reich und die Zwangsmissionierung durch die Russisch-Orthodoxe Kirche. Mit der Ausrufung der Demokratischen Republik Georgien 1918 begannen heftige Kämpfe, die 1922 mit der Eingliederung Südossetiens als autonomes Gebiet in die Georgische SSR endeten.

Die Militärhistoriker zeichnen in ihrem Leitfaden ein Bild der Region, das von historischen Verwerfungen über die Dynamik eines Vielvölkergemisches bis zu den Verteilungskämpfen der Gegenwart reicht. Wobei West wie Ost an der strategisch bedeutenden Kaukasusregion zerren: Öl, Gas und Pipelines machen den Kaukasus zum geostrategischen Schwergewicht. Daneben spielt die kriegerische Sicht in dem Wegweiser eine Rolle. Seit dem 18. Jahrhundert unterwarfen russische Truppen die Bergvölker des Kaukasus. Puschkin und Tolstoi verherrlichten den Kaukasus zum Mythos, neben Schönheit und Reichtum sprachen sie von kultureller Überlegenheit. So wurde dann auch der Kaukasus zum Ziel von Projektionen und Sehnsüchten, sowohl zu Sowjetzeiten als auch in der Gegenwart.

Neben dem Bild vom Pulverfass, Krisenherd und Sehnsuchtsort eröffnet der Leitfaden schließlich auch ganz praktische Ebenen: eine Zeittafel, eine Liste der Erinnerungsorte sowie Feiertage und ein Porträt der Stadt Tiflis ergänzen diesen etwas anderen „Reiseführer“.

Der Wegweiser zur Geschichte des Kaukasus komplett im Internet: www.mgfa.de /html/einsatzunterstuetzung. Im Buchhandel ISBN 978-3-506- 76587-1.

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