zum Hauptinhalt

Homepage: „Hochschulen sind kein Supermarkt“

Arne Karrasch vom AStA der Universität über Studiengebühren, Gerechtigkeit, Salamitaktik und Proteste

Stand:

Arne Karrasch vom AStA der Universität über Studiengebühren, Gerechtigkeit, Salamitaktik und Proteste Der AStA hat sich strikt gegen Studiengebühren ausgesprochen. Nun hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot gekippt. Ist Ihr Engagement damit beendet? Unser Engagement ist auf keinen Fall beendet. Seit Mittwoch haben sich lediglich die Rahmenbedingungen verändert: Das bisher gültige Studiengebührenverbot ist gekippt, der Bund ist raus aus allem und die alleinige Kompetenz bei den Ländern. Das ist nun das Feld, in dem wir uns bewegen. Auf lange Sicht wird wohl auch Brandenburg Gebühren einführen. Sehen Sie noch Alternativen? Es gibt eine Alternative zu Studiengebühren: keine Studiengebühren. Karlsruhe hat vorgestern nicht entschieden, dass Studiengebühren zwangsweise eingeführt werden müssen. Und ich wehre mich gegen jede Art von Fatalismus. Studiengebühren sind kein Naturgesetz. Morgen geht die Sonne auf – okay, dagegen kann man nichts machen. Aber hinter Studiengebühren steht ein politischer Wille. Und diesen Willen muss man aufdecken, thematisieren und bei den Studiengebühren eindeutig kritisieren. Denn Studiengebühren bleiben sozial zutiefst ungerecht und bildungspolitisch fatal. Die Rede ist von nachlaufenden Studiengebühren, das heißt man zahlt erst nach dem Studium, wenn man einen Job hat. Demnach hätte doch jeder die Chance zum Studium. Jede Art von Studiengebühren ist eine Verlagerung einer gemeinschaftlichen Finanzierung durch die öffentliche Hand hin zu einer Individualisierung der Kosten. Hierbei ist es nur logisch, dass sozial Schwächere ein größeres Problem damit haben als Studierende aus reicheren Schichten. Der Gedanke, dass besserverdienene Menschen mehr zahlen sollen als Personen mit weniger Einkommen, ist völlig in Ordnung. Dann soll man das aber bitte schön über ein dementsprechendes Steuersystem organisieren. Mit einem niedrigen Einstiegssteuersatz und einem hohen Spitzensteuersatz. Somit würden gut verdienende Akademiker automatisch mehr zahlen als ungelernte Aushilfskräfte, und zwar zu einem Zeitpunkt, wenn sie die finanziellen Möglichkeiten dazu besitzen. Aber dem Studenten von heute in die Tasche von morgen zu greifen, ist der falsche Weg. Wieso sind Studiengebühren bildungspolitisch falsch? Mit Studiengebühren verändert sich zwangsweise die Einstellung zum Studium und zur Bildung. Dahinter steht ein Weltbild mit Bildung als „Investition in das eigene Humankapital“, das später auf dem Arbeitsmarkt eine hohe Rendite abwerfen soll. Solch eine ökonomische Ansicht von Bildung ist grundfalsch. Bildung sollte weit über die Vermittlung von Fähigkeiten, wie man in diesem Wirtschaftssystem funktionieren kann, hinausgehen. Persönlichkeitsentwicklung gehört dazu. Kritisches Hinterfragen der Gesellschaft. Neue, unsichere Wege beschreiten. Unter Umständen auch das Ausprobieren von mehreren Ausbildungswegen. Ein Fachwechsel wäre im Falle von Studiengebühren jedoch nur noch den Reicheren möglich. Mit der Folge, dass es entweder frustrierte Absolventen oder perspektivlose Studienabbrecher gibt. Ist zu befürchten, dass durch Studiengebühren die ohnehin schon zu niedrige Zahl der Studierenden sinken wird? Ja, eindeutig. Im ersten Semester der Volkswirtschaftslehre lernt man bereits: steigt der Preis, sinkt die Nachfrage. Und angesichts eines drohenden Schuldenbergs in fünfstelliger Höhe nach dem Hochschulabschluss wird die Studierquote in Brandenburg nicht steigen, wenn Studiengebühren kommen – auch wenn sie nachlaufend sind. Denn das ist auch nur ein Studium auf Kredit und nichts anderes. Im letzten Jahr musste der NASA-Direktor seinen Job gegen einen besser bezahlten eintauschen, damit er seinen drei Kindern das Studium finanzieren kann. Das sagt alles. Das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) hat Proteste und Streiks angekündigt, wird sich der Potsdamer AStA anschließen? Wir werden am Beginn des Sommersemesters eine Vollversammlung abhalten und dann sehen, wie die Einstellung der gesamten Studierendenschaft ist. Einen Streik kann der AStA nicht alleine beschließen. Aber sicherlich werden wir uns einige Protestformen ausdenken, um zu verdeutlichen, dass wir da sind, falls die Pläne in Brandenburg konkreter werden sollten. Darüber hinaus ist es wichtig, Solidarität mit den Studierenden in anderen Bundesländern zu zeigen. Ich rechne mit einer Salamitaktik bei der Einführung der Gebühren: ein paar Länder fangen an, Zug um Zug kommt der Rest hinterher. Damit will man deutschlandweite Streiks an den Hochschulen umgehen. Das darf keinen Erfolg haben. Viele Hochschulen – auch die Uni Potsdam – sind chronisch unterfinanziert. Könnten Gebühren die direkt den Hochschulen zugute kommen hier nicht weiterhelfen? Das funktioniert vielleicht ein oder zwei Jahre. Die Annahme, dass die Gebühren langfristig den Hochschulen zugute kommen, ist blauäugig. Das beweisen Länder wie Österreich, Großbritannien oder Australien jeden Tag aufs Neue. Dort gab es ähnliche Versprechen, die allesamt gebrochen wurden. Das ist nur ein weiterer Versuch, den Argumenten der Gegner den Wind aus den Segeln zu nehmen und die Hochschulrektoren mit ins Boot zu holen. Vielen aus der Hochschulrektorenkonferenz ist es leider egal, woher das Geld kommt – Hauptsache, es kommt. Studiengebühren sollen auch die Zahl der Langzeitstudenten senken – wer zahlt ist eher motiviert, sein Studium in der Regelstudienzeit durchzuziehen. Was die so genannten Langzeitstudierenden anbelangt, bin ich mit der Wissenschaftsministerin einer Meinung. Sie sind nicht schuld daran, dass sie länger studieren. Frau Wanka hat ganz richtig erkannt, dass die Bedingungen an den Hochschulen schlecht sind und mehr als Zweidrittel der Studierenden jobben müssen, um sich das Studium zu finanzieren. Dass man dann länger studieren muss, ist die logische Folge. Mit der Einführung von Studiengebühren ab dem ersten Semester werden diesen Menschen vielmehr die ersten sein, die das Studium abbrechen müssen, und zwar ohne Abschluss. Denn wie gesagt: der so genannte Langzeitstudent ist dies nicht freiwillig, sondern aufgrund äußerer Umstände. Würden Studiengebühren nicht auch den Druck auf die Hochschulen erhöhen, die Qualität der Lehre zu verbessern? Die Studierenden wären ja Kunden mit entsprechenden Ansprüchen. Nein, dem kann ich so nicht zustimmen. Ein Kunde kann einfach zwischen zwei Supermärkten wählen. Gefällt ihm der eine Laden nicht, geht er einfach eine Straße weiter und kauft ohne Probleme im nächsten Geschäft ein. Das ist bei Hochschulen ganz anders. Zukünftig sollen die Hochschulen entscheiden dürfen, welchen „Kunden“ sie haben wollen, alle anderen müssen draußen bleiben. Richtig Einfluss bekämen die Studierenden erst, wenn die Hochschulen den Betrag eines Einzelnen spüren würden. Dazu sind 500 Euro viel zu wenig. Außerdem kann ein Student schon aus persönlichen Gründen nicht einfach so die Uni wechseln. Er hat ein soziales Umfeld, eventuell einen Job, einen guten Kontakt zu den Profs, kann sich den Umzug nicht leisten oder ähnliches. Das Bild von einem einflussreichen Kunden ist somit nicht haltbar. Und aus Sicht des AStA auch nicht gewollt. Wir wollen keine Kunden sein, sondern gleichberechtigte Mitglieder einer demokratischen Hochschule. Nicht aber Konsumenten in einem Supermarkt der Wissenschaft, in dem die Professoren ihre Ware verkaufen. Was schlagen Sie nun für Brandenburg vor? Ich schlage vor, dass Brandenburg auf die Einführung von Studiengebühren verzichtet und sich der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusst wird. Ein öffentlich finanziertes Bildungssystem mit einer hohen Durchlässigkeit lautet das Ziel, damit alle Teile der Bevölkerung bei entsprechender Qualifizierung an sämtlichen Bildungsangeboten partizipieren können. Dafür sollte ein reiches Land wie Deutschland genug Geld übrig haben. Falls nicht, stimmt etwas in dem System nicht. Die Fragen stellte Jan Kixmüller Arne Karrasch studiert an der Uni Potsdam und ist Referent für Hochschulpolitik im Allgemeinen Studierendenausschuss AStA. Seit geraumer Zeit kämpft er gegen Studiengebühren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })