zum Hauptinhalt

Sport: „Ich bin im Unruhezustand“

Turbine Potsdams Trainer Bernd Schröder wird 70 und denkt noch längst nicht ans Rentnerdasein

Stand:

Keine Frage: Bernd Schröder ist ein Großer. Mit seinen 1,97 Metern Körperhöhe und seiner kräftigen Stimme steht er schnell im Mittelpunkt einer Gesellschaft. Den von ihm trainierten FFC Turbine Potsdam führte er bis auf den europäischen Thron. „Und ich bin von Kleinauf Protestant – ebenso, wie es Friedrich der Große war“, flachst der Chefcoach des Deutschen Frauenfußball-Meisters vor seinem siebenten runden Geburtstag am morgigen Sonntag und sagt: „300 Jahre Friedrich der Große und 70 Jahre Bernd Schröder im gleichen Jahr – wenn das nichts ist.“

Gleichwohl flieht der Erfolgstrainer morgen allen Gratulationen; selbst sein Handy will er ausstellen. Er lehnte alle Feierlichkeiten, die der Verein für ihn planen wollte, ab und fährt allein mit seiner Frau Ulrike, mit der er seit 1968 verheiratet ist, nach Mecklenburg-Vorpommern. „Ich mag solchen Personenkult nicht“, sagt er. „Das brauche ich nicht.“ Ende August wolle er mit der Mannschaft, Ministerpräsident Matthias Platzeck, Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger und weiteren ausgewählten Gästen nachfeiern. „Mit einigem zeitlichen Abstand zu dem Tag, für den ich persönlich ja nichts kann“, meint er. „Außerdem haben wir am 26. August am Kongresshotel am Templiner See wieder eine große öffentliche Turbine- Veranstaltung mit der Vorstellung unserer neuen Mannschaft.“ Seine Spielerinnen wollen ihrem Coach zu Wochenbeginn eine kleine Aufmerksamkeit überreichen. „Wir wissen ja, dass er nicht so viel Rummel haben will“, sagt Jennifer Zietz, die seit 1999 für Turbine und damit am längsten unter Schröders Regie kickt.

Während Zietz derzeit einen Kreuz- bandriss auskuriert, trainiert Bernd Schröder seit zwei Wochen wieder täglich dreimal mit seiner Mannschaft für die neue Saison. Bis zum gestrigen Freitag hatten die Spielerinnen bereits 26 Übungseinheiten hinter sich, an diesem Wochenende haben sie frei. Und Schröder hat Muße, über seine bisherigen sieben Jahrzehnte nachzudenken. Über seine Kindheit in Droyßig bei Zeitz im sachsen-anhaltinischen Burgenlandkreis. Über sein Bergbau-Studium in Freiberg, das ihn immer noch regelmäßig Bergwerke und Höhlen besuchen lässt; zuletzt in diesem Sommer die „Heimkehle“ bei Sangerhausen. Über seine Zeit als Torwart bei Traktor Droyßig, Stahl Silbitz, Wissenschaft Freiberg und Lok Leipzig. Über seinen Umzug nach Potsdam, wo er 1968 – ehe seine Frau mit den Kindern Andrea und Thoralf nachkam – im damaligen Energiekombinat Potsdam zu arbeiten begann und bis nach der Wende als Abteilungsleiter in der Abrechnung tägig war. Über den frühen Tod Andreas nach langer schwerer Krankheit, den der gläubige Christ als schwere Prüfung durch seinen Gott begriff und begreift. Über die Freude, die ihm heute seine beiden Enkel Erik und Emma bereiten. Und natürlich über seine über 40 Jahre als Trainer Turbine Potsdams.

Was am 5. März 1971 mit einem Aufruf zur Bildung eines Frauenteams am Schwarzen Brett seines Betriebes begann, ist zu Bernd Schröders Lebenswerk geworden. In diesen über vier Jahrzehnten wurde die von ihm trainierte Turbine- Mannschaft je sechsmal DDR-Bester und Deutscher Meister, 2005 UEFA-Cup-Gewinner und 2010 Champions-League- Sieger, dreimal DFB-Pokal- sowie fünfmal DFB-Hallenpokalsieger. Und Schröder ist immer noch hungrig auf Erfolge, will mit seiner jetzigen Truppe den Meistertitel erfolgreich verteidigen und international erneut ganz vorn mitmischen. Um so saurer stößt es ihn auf, dass die deutschen Fußballerinnen bei der Heim-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr mit der Viertelfinal- Niederlage gegen Japan auch das Ticket zu den Olympischen Spielen 2012 in London verpassten. „Das Herz blutet einem“, gesteht der Coach, der sich auch nicht davor scheut, Nationaltrainerin Silvia Neid oder den Liga-Konkurrenten FFC Frankfurt öffentlich zu kritisieren. Turbine habe mit der Japanerin Yuki Ogimi und der Schwedin Antonia Göransson wenigstens zwei Spielerinnen in London dabei und er hoffe, das eine von beiden als Olympiasiegerin nach Potsdam zurückkehrt. „Es ist aber eine Schande, dass unsere Nationalmannschaft ausgerechnet bei Olympia fehlt, denn Olympia ist ja die gelebte Sportfamilie“, erklärt Schröder. „So wie bei uns hier im Luftschiffhafen.“ Es gebe in Potsdam ein „sensationelles Verhältnis“ zwischen Kanuten, Schwimmern, Leichtathleten und einem Teil der Ruderer. „Wir respektieren alle gegenseitig unsere Leistungen und Erfolge“, sagt er.

Und alle achten Bernd Schröder, der seinen Trainerjob seit 40 Jahren ehrenamtlich ausübt, der in den 90er Jahren sogar auf sein Privatkonto zurückgriff, um Turbine finanziell über Wasser zu halten – und der noch längst nicht ans Aufhören denkt. „Ich bin kein Rentner, sondern im Unruhezustand“, erklärt der älteste und dienstälteste Coach der oberen deutschen Fußball-Ligen, der in seiner Branche als Phänomen gilt, noch täglich auf dem Trainingsplatz steht und auf die Frage, wann er aufhört, salomonisch antwortet: „Das mach ich nur gemeinsam mit Ulli Wegner und Alex Ferguson.“ Box-Trainer Wegner ist drei Monate älter als Schröder und noch aktiv, ebenso wie Manchester Uniteds Coach Ferguson, der am 31. Dezember 1941 geboren wurde. „Mit anderen Worten: Man kann diese Frage nicht beantworten“, so Schröder. „Wären wir hier im Verein drei, vier Alte, dann wäre das wie die Muppet Show und würde nicht funktionieren. Aber ich habe immer wieder junge Leute mit neuen Ideen an meiner Seite, so wie jetzt zwei neue Athletiktrainer und vorerst zeitweise einen Co-Trainer. Und ich bin bereit, immer wieder neue Sachen auszuprobieren.“ Außerdem, gibt er zu, sei es schwierig, einen Nachfolger zu finden. „Der Aufwand, den ich von morgens um neun bis zum Abend für Turbine betreibe, ist nur schwer zu stemmen“, so der Coach. „Das Umfeld bei uns im Verein stimmt, aber wenn ich mal den Marschallstab fallen lasse, haben wir nur einen Versuch.“

Auch die Fußstapfen, die Bernd Schröders Nachfolger erwarten, werden groß sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })