Landeshauptstadt: „Ich staune, wie wir das überlebt haben“
Volkmar Raback, Direktor des Hans Otto Theaters, über Schauspielkunst und finanzielle Zwänge
Stand:
Herr Raback, was ist wichtiger für ein Theater, die Hülle oder der Inhalt?
Fifty-fifty. Als Ministerpräsident Matthias Platzeck zusammen mit dem Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit jüngst einen Rundgang durch das Haus gemacht hat, habe ich zu ihm gesagt, jetzt haben wir endlich den Politikern bewiesen, dass dieser Neubau notwendig war und auch vollkommen angenommen wird. Ohne Inhalte kann man das natürlich auch vergessen. Aber zurzeit zieht vor allem der Neubau, also die Hülle. Das muss natürlich mit Kunst unterfüttert werden, denn wenn Besucher zum vierten oder fünften Mal zu uns kommen, dann nicht mehr weil sie der Neubau interessiert, sondern die Kunst.
Aber es gibt seit dem Umzug in das neue Haus Kritik an der Hülle, vor allem an der Akustik.
Das ist ein grundsätzliches Problem, wenn solche Elemente verbaut werden wie Stahl, Beton und Glas, die nicht gerade förderlich für eine gute Akustik sind. Wir Theaterleute sind zwar keine Akustikfachleute. Trotzdem haben wir uns informiert, Parallelen zu anderen Häusern gesucht und dementsprechend Nachhallzeiten für das Schauspiel- und Musiktheater für neu errichtete Theatergebäude erfragt und welche Probleme entstanden sind und wie deren Lösungen aussahen und in welchem Zeitraum diese realisiert wurden. Es gibt auch bei anderen Kulturbauten ähnliche Probleme.
Sie haben also schon vor der Eröffnung gewusst, dass es Probleme geben kann?
Wir haben die Probleme erst erkannt, als wir das Haus zum ersten Mal in Funktion hatten. Wir haben gehofft, es liegt am noch leeren Saal und der fehlenden Bestuhlung. Leider ist es dann nur zum Teil besser geworden. Wir haben diese Probleme und werden mit einer Arbeitsgruppe und den Fachplanern, die jetzt eingeschaltet werden, Vorschläge entwickeln, die zu einer endgültigen Lösung führen.
Werden diese Probleme innerhalb der sechswöchigen Sommerpause zu beseitigen sein?
Wir wissen nicht, wie lange die Fachplaner brauchen, um die Vorschläge zu erarbeiten. Dann muss der Terminplan für die Maßnahmen abgestimmt werden. Das wird sich mit der neuen Spielzeit überschneiden. Darum ist das jetzt nicht in der Spielzeitpause zu machen. Aber ich bin da guten Mutes.
Wenn man in dem Beschwerdebuch im Foyer blättert, hat man schnell den Eindruck, dass manche Besucher da nicht so optimistisch sind.
Das ist wirklich ein Problem. Wenn das Publikum zweimal auf den akustisch schlechteren Plätzen gesessen hat kann es sein das die Gäste sagen, wir kommen erst wieder, wenn alles in Ordnung ist. Am Anfang wurde die Diskussion sehr emotional geführt, jetzt sind wir auf der sachlichen Ebene angekommen. Und ich hoffe, dass wir das Problem auf dieser sachlichen Ebene gelöst bekommen.
Wie lange wird das dauern?
Ich schätze, bis zu einem Jahr werden wir schon noch brauchen.
Sind die Probleme so gravierend, dass Sie vielleicht sogar bauliche Veränderung vornehmen müssen?
Das können nur Ergänzungen sein. Baulich ist da grundsätzlich nichts zu ändern, sonst würden wir ja in die Architektur eingreifen. Hinzu kommt, dass der Saal ein flexibler Raum ist. Wir können im halben Zuschauerraum spielen, auf der Vorbühne, der normalen Bühne und der Hinterbühne. Das ist natürlich auch eine große Herausforderung für die Akustik.
Trotz der Akustikprobleme und anderer Mängel wie bei den Damen-Toiletten können Sie ja sehr zufrieden sein mit der ersten Spielzeit im neuen Haus.
Der Neubau ist durchgehend eine Erfolgsgeschichte. Die gezeigte Kunst natürlich auch, das muss ich nicht extra betonen. Ich bin mir aber sicher, dass die meisten Synergien noch immer beim Neubau liegen.
Wie hoch sind die Besucherzahlen im neuen Theater?
Wir haben mit Auswertung zum 31. Mai eine Auslastung von 88 Prozent.
Diese Zahl wird mit Sicherheit auch durch die Neugier auf das neue Haus getragen. Was für Besucherzahlen erwarten Sie für die Zukunft?
Nach dem Neugierdeeffekt hoffe ich, dass wir eine Auslastung so um die 85 Prozent haben.
Wie lange wird dieser Neugierdeeffekt noch anhalten?
Ich hoffe eine Spielzeit wenigstens. Zwei Jahre Neuigkeitseffekt, das wäre schon in Ordnung. Wenn der normale Alltag eintritt, wenn die ganze Neugierde auf das neue Haus weg ist, dass macht mir am meisten Sorge. Da muss das Drumherum dann funktionieren und die Kunst voll greifen. Derzeit haben wir ein Einspielergebnis von über 15 Prozent. Das ist für ein Haus, das vor allem Schauspiel und Kinder- und Jugendtheater anbietet und nur punktuell im Schlosstheater im Neuen Palais Musikproduktionen eine sehr gute Entwicklung. Zurzeit liegen wir auf Kurs und ich hoffe das auch für die Zukunft.
Was könnte gegen eine solche Zukunft sprechen?
So ein Theater hat sehr viele Ausgaben. Das darf man nicht unterschätzen. Die Betriebskosten, die Aufführungen. Zurzeit rettet uns immer noch die Steigerung der Einnahmen. Ob wir im nächsten Jahr noch eine solche Steigerung erreichen können, kann ich nicht sagen. Aber selbst wenn, es werden nicht mehr die Größenordnungen wie in dieser Spielzeit sein.
Das heißt, die Einnahmen werden mit den öffentlichen Zuschüssen gegen gerechnet?
Ja, im Grunde haben wir die Gesamtausgaben minus die Zuwendungen, die für die nächsten zwei Jahre festgelegt sind, und die Eigeneinnahmen. Da muss man aufpassen. Zum Beispiel der Stromverbrauch, den konnten wir vorher zwar berechnen. Ob die Tatsachen sich dann an diese Berechnungen halten, ist etwas anderes. Die Differenzen müssen wir mit den Einnahmen abfangen. Genauso die Tariferhöhungen. Dazu die ständigen Preissteigerungen bei Energie und vor allem auch bei Holz oder Metall, das wir in unseren Bühnenbildern verarbeiten. Das können wir ja nicht einfach auf die Eintrittpreise draufschlagen.
Also eine schwierige finanzielle Situation für das Hans Otto Theater?
Das allgemeine Problem, unabhängig von einem Neubau, ist, dass man Kunst nicht ausrechnen kann. Die Geldgeber wollen zwar für alles Nachweise und ich kann sagen, wir machen soundsoviele Vorstellungen. Aber schon bei der Aussage, wie hoch die Auslastung sein könnte, wird es problematisch. Setze ich die zu hoch an, fehlen mir bei weniger Besuchern die nötigen Einnahmen. Setze ich die zu niedrig an, kritisieren das die Geldgeber. Ich muss mit realistischen Zahlen arbeiten. Trotzdem bleiben viele Sachen nicht ausrechenbar. Da muss ich dann auf die Erfahrungen zurückgreifen. Wir werden ja auch ständig von der Politik mit Einspielergebnissen und Einnahmen gejagt. Ein Kinder- und Jugendtheater dürfte ich aus rein fiskalischen Gründen gar nicht machen. Das läuft zwar gut, doch die Einnahmen sind gering aufgrund der niedrigen Eintrittspreise.
Trotzdem wird das Kinder- und Jungendtheater mit der neuen Spielzeit erweitert.
Ich bin schon immer ein Verfechter des Kinder- und Jugendtheaters gewesen. Wir machen jetzt „Junges Theater“ mit mehr Produktionen bei gleichem Geld. Das lösen wir zum Teil dadurch, dass es keine Einzelbühnenbilder sondern ein Schwimmbad als ständiges Bühnenbild für alle Aufführungen geben wird. Trotzdem müssen sich die Kollegen sehr disziplinieren. Manchmal kommen auch Kollegen zu mir und sagen, das kostet kein Geld. Doch meine Erfahrung ist, es gibt keine No-Budget-Produktionen. Niemals.
Sie vermieten auch das Theater für Fremdveranstaltungen.
Die hatten wir auch in der Blechbüchse. Doch jetzt ist die Lukrativität durch das neue Haus viel höher. Von der Anzahl sind diese Vermietungen nicht umwerfend, das liegt so zwischen 15 und 20. Das ist aber fast immer mit großem Aufwand verbunden. Wenn wir zum Beispiel für einen Ball vermieten, muss die ganze Bestuhlung raus und Tanzteppich ausgelegt werden und nach der Veranstaltung wieder alles zurück. Aber wir sind auf diese Einnahmen angewiesen und müssen damit Gewinne erzielen.
Würden Sie sagen, mit dem Umzug in das neue Haus haben Sie die größten Schwierigkeiten schon gemeistert?
Ich hatte immer gedacht, das Jahr der Eröffnung mit dem Umzug und der baulichen Begleitung im Vorfeld wird am problematischsten. Ich glaube aber dieses und das kommende Jahr wird noch schlimmer was die fiskalische Sicht betrifft. Das hätte ich nicht gedacht. Bei den Finanzen wird es immer enger. Wir werden dann auch bei den Einnahmen an einen Stand kommen, wo wir uns nicht mehr großartig steigern können.
Wie ist das Hans Otto Theater personell aufgestellt?
Wir haben 159 Beschäftigte, eigentlich ein mittelständischer Betrieb mit einem Schauspielensemble, einer Verwaltung, den ganzen Werkstätten und der Bühnentechnik, den Dramaturgen und der künstlerischen und der kaufmännischen Geschäftsführung. Beim Einlass haben wir nur eine Festangestellte, der Rest sind Aushilfen. Eigentlich sind das viel zu wenig Mitarbeiter für dieses Haus. Da arbeiten wir schon an unseren Grenzen.
Sie haben gesagt, der Theaterneubau ist bei allen Problemen ein voller Erfolg. Oft hat man aber den Eindruck, dass diese Erfolgsgeschichte in der Stadtverwaltung nicht so richtig ankommt, wenn man einfach nur das Thema der Beschilderung anspricht, über das schon seit Jahren diskutiert wird.
Es scheint so, als ob einige Ergänzungsmaßnahmen im Voraus nicht geplant wurden. Nach dem Motto: Jetzt habt ihr den Neubau und seid zufrieden. Da hängt aber noch einiges mit dran. Dazu zählt die Beschilderung, wo wir schon mehrere Kompromissvorschläge gemacht haben und uns wünschen würden, dass wenigstens auf einen dieser Vorschläge eingegangen wird. Eigentlich hätte das schon längerfristig vorher geplant werden müssen, dass man nicht erst wartet, bis das Haus steht. Dann hätte man sich parallel zum Bau um die Beschilderung streiten können. Wir bestehen ja nicht darauf, weil wir glauben, wir sind die Größten und Verrücktesten. Die Leute finden uns wirklich nicht. Und wir haben dann die Eintragungen in dem Beschwerdebuch im Foyer.
Wie wird sich der jetzt begonnene Bau des Parkhauses auf die Theaterarbeit auswirken?
Wir sind in der Hinsicht ja schon leidgeprüft durch die zwölf Jahre in der Blechbüchse, wo in den letzten Jahren auch schon um uns rumgebaut wurde. Aber der Parkhausneubau hier am Standort ist nicht ohne. Es gibt zwar Ausweichparkplätze. Da haben wir schon Monate vorher auf die damit verbundene Parkplatzproblematik hingewiesen. Und bis zum Tag des Baubeginns mussten wir immer noch sagen, es fehlen die Parkplatzschilder.
Die geplante Bauzeit reicht weit in die neue Spielzeit hinein.
Das dreiviertel Jahr Bauzeit sehe ich schon als Problem. Ich hoffe nur, dass die Lösung mit den Ausweichparkplätzen funktioniert. Ein anderes Problem: Unser Jugendtheater hat Vorstellungen am Tag, während gebaut wird. Wir hoffen, dass da trotz des Zeitdrucks eine verträgliche Lösung gefunden wird. Denn den Zuschauer interessiert es nicht, ob draußen gebaut wird. Wenn der mit seinen Kindern in der Vorstellung sitzt und draußen ist Lärm, sehen wir den so schnell nicht wieder. Wir haben schon sehr früh darauf hingewiesen, dass das Parkhaus parallel zum neuen Theater gebaut werden sollte. Aber es fehlte an den nötigen Fördergeldern.
Jetzt steht aber erst einmal die Sommerpause bis Mitte September an.
Ja, im September geht wieder der Spielbetrieb los. Aber wir beginnen schon Ende August mit den Proben. In den sechs Wochen Spielzeitpause werden Wartungsarbeiten und TÜV-Abnahmen stattfinden und bauliche Mängel beseitigt. Ein größeres Projekt ist die Erneuerung des Bodens im Saal. Der wird neu versiegelt und neu gestrichen. Es werden hoffentlich auch die Wasserschäden an der Elektronik behoben.
Ein Problem, das Sie mit Sicherheit auch in der Sommerpause begleiten wird, ist die noch nicht gesicherte Finanzierung der so genannte Winteroper im Neuen Palais, eine Gemeinschaftsproduktion der Kammerakademie Potsdam und des Hans Otto Theaters.
Diese Zitterpartie haben wir schon seit Jahren. Dieses Jahr ist es wieder das gleiche Spiel und wir hoffen, dass die versprochenen Gelder noch kommen. Ich hoffe, dass zumindest ab dem kommenden Jahr eine vernünftige Finanzierung geschaffen wird und so das ständige Hinhalten der Gastkünstler aufhört. Denn das ist unseriös. So etwas spricht sich ganz schnell “rum in Deutschland, dass man in Potsdam zwar ein Arrangement bekommt, auf die Verträge aber lange warten muss.
Gibt es bei all diesen Schwierigkeiten nicht auch Momente in denen Sie sich manchmal sagen, wären wir doch in der Blechbüchse geblieben?
Wenn der Neubau nicht gekommen wäre, würde es in Potsdam kein öffentliches Theater mehr geben. Wir hätten keine Überlebenschance in der Blechbüchse oder anderen Interimslösungen gehabt. Das neue Haus war ein wichtiger Schritt. Die Eröffnung des Neubaus im vergangenen Jahr ist die Sicherung des Potsdamer Theaters gewesen. Vielleicht hätten wir noch maximal fünf Jahre in der Blechbüchse weitermachen können. Wenn ich jetzt auf die Zeit in der Blechbüchse zurückschaue, kann ich nur staunen, wie wir das überlebt haben.
Das Gespräch führte Dirk Becker
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