Landeshauptstadt: „Ich will nur diese Chance“
Birgit Baatz ist arbeitslos, seit zwölf Jahren. Vor drei Wochen hat sie einen Job gefunden – für 165 Euro im Monat. Doch jetzt schickt das Arbeitsamt sie zum Profiling
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Birgit Baatz ist arbeitslos, seit zwölf Jahren. Vor drei Wochen hat sie einen Job gefunden – für 165 Euro im Monat. Doch jetzt schickt das Arbeitsamt sie zum Profiling Von Sabine Schicketanz Zwölf Jahre sind eine lange Zeit. Für Birgit Baatz eine viel zu lange Zeit. Seit zwölf Jahren ist sie arbeitslos. Wirtschaftskauffrau hat sie einst gelernt, als Bürokauffrau gearbeitet. Mit der Wende war alles vorbei. Und es wurde noch schlimmer. Durch ihr Rückenleiden wurde Birgit Baatz als 30-prozentig behindert eingestuft. Eine abschreckende Zahl für potenzielle Arbeitgeber. Vor mehr als fünf Jahren dann die Scheidung von ihrem Mann. Birgit Baatz litt darunter, die Trennung hinterließ Spuren auf der Seele. Spuren, die heute ärztlich behandelt werden. Die dafür sorgen, dass die Welt der fröhlichen, freundlichen Frau schnell aus dem Gleichgewicht gerät. Das vergangene Jahr war die heute 39-jährige Potsdamerin außerdem krankgeschrieben. Ein Ermüdungsbruch am Fuß setzte sie außer Gefecht. Zahllose Male wurde sie operiert, bekam einen Knochen implantiert. Richtig heilen wird der Fuß aber nicht mehr. Das alles hatte Birgit Baatz vor drei Wochen einfach vergessen. Vergessen können. Sie hatte wieder eine Arbeit bekommen. Drei Stunden pro Tag stand sie im Tabak- und Presseshop von Regina Mehlhorn in der Wilhelmgalerie hinter dem Tresen, für 165 Euro im Monat. Das ist nicht viel, dass weiß sie. „Ich liege dem Arbeitsamt immer noch auf der Tasche.“ 165 Euro reichen nicht zum Leben, kategorisieren sie als „geringfügig Beschäftigte“, für deren Sozialversicherung der Staat aufkommt. Doch für Birgit Baatz ist der Mini-Job „eine riesen Chance“. Sie will sich testen, reinriechen ins Berufsleben, das so lange nicht ihr Leben war. Zwei Monate Probezeit sind vereinbart, in denen sie herausfinden soll, ob sie die Arbeit gesundheitlich schafft. Ansonsten sei der Arbeitsvertrag unbefristet, so Regina Mehlhorn. „Ich will nur diese Chance“, sagt Birgit Baatz. Vorerst allerdings bekommt sie sie nicht. Genommen hat ihr die Arbeit ausgerechnet das Arbeitsamt. Birgit Baatz soll, so eine schriftliche Mitteilung, an einem Profiling teilnehmen. Zwei Wochen dauert diese Trainingsmaßnahme – zwei Wochen, in denen Birgit Baatz nicht arbeiten kann, und Regina Mehlhorn auf die eingeplante Arbeitskraft in der mittäglichen Stoßzeit verzichten muss. „Das hat mich psychisch total heruntergezogen“, sagt Birgit Baatz. „Wo es mich so aufgebaut hatte, endlich wieder zu arbeiten.“ Was das Arbeitsamt tut, ist jedoch nicht rechtswidrig. „Solange jemand Arbeitslosengeld bezieht, muss er für unsere Bemühungen zur Verfügung stehen“, erklärt Isabell Wolling, Sprecherin des Potsdamer Arbeitsamtes. Außerdem habe Birgit Baatz mit ihrem Arbeitsvermittler über die Trainingsmaßnahme gesprochen und sich damit einverstanden erklärt, ergänzt Sprecher Wolfgang Schröter. Allerdings könne es dabei auch zu einem Missverständnis gekommen sein. „Vielleicht hat Frau Baatz gedacht, sie hätte ansonsten leistungsrechtliche Konsequenzen zu befürchten.“ Generell gelte jedoch, dass auch das Arbeitsamt alles, was die Chancen erhöhe, wieder in den ersten Arbeitsmarkt einzusteigen, befürworte. Birgit Baatz und ihrer Arbeitgeberin Regina Mehlhorn wurde dies offenbar nicht so deutlich klargemacht. Und vor allem, meinen beide, habe das Arbeitsamt nicht danach gehandelt. Auf ihre per Telefon vorgetragene Bitte, doch zunächst von einem Profiling für ihre Mitarbeiterin abzusehen, habe man beim Arbeitsamt ablehnend reagiert, sagt Regina Mehlhorn. Dass Birgit Baatz“ Arbeitsmarkt-Chancen durch die jetzt geplante Trainingsmaßnahme verbessert würden, glaubt sie nicht. „Sie bekommt bei mir eine Lotto-Schulung, kann sich an die Arbeit gewöhnen“, sagt Regina Mehlhorn. „Und wenn irgendwo eine Stelle frei wird, hat sie Erfahrungen vorzuweisen.“ Für die Geschäftsführerin des Tabak- und Lottoshops ist das Vorgehen des Arbeitsamtes deshalb geradezu unverständlich. „Das Arbeitsamt kann sich doch nicht auf diese Weise über den Arbeitgeber stellen.“ Außerdem befürchtet sie, dass auch die nächste 165-Euro-Kraft, die sie einstellen will, von Profiling zu Profiling geschickt wird. Das Argument des Arbeitsamtes, Birgit Baatz könne ihre drei Stunden Arbeit auch nach der Trainingsmaßnahme am späten Nachmittag leisten, zählt für Mehlhorn nicht. „Ich brauche sie mittags, dafür habe ich sie eingestellt – das hier ist ein Unternehmen.“ Sie habe um ihre Stelle gefürchtet, als sich herausstellte, dass sie zur Trainingsmaßnahme muss, sagt Birgit Baatz. „Dabei war ich so froh, dass Regina Mehlhorn mir trotz meiner Behinderung eine Chance gibt.“ Das Arbeitsamt habe ihr Steine in den Weg gelegt. „Ich erwartet nicht, dass ich auf Jahre von den Arbeitsamt-Maßnahmen freigestellt werde. Aber jetzt, mit diesem Job, könnte sich auch etwas anderes ergeben. Ich brauche diese Chance.“ Einen Beschwerdebrief ans Arbeitsamt hat sie schon geschrieben, das Profiling habe sie jedoch nicht antreten können. Das Geschehen habe sie derartig verunsichert und aus der Bahn geworfen, dass ihr Arzt sie krankgeschrieben hat. Heute ist Birgit Baatz zum Gespräch ins Arbeitsamt eingeladen. Man wolle, so Sprecher Schröter, „Missverständnisse beseitigen“.
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