
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Im Ausland Erfahrung sammeln
Schönbohm und Platzeck auf Reise: Sie werben um mehr Engagement für die erlangte Demokratie
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Der gesellschaftliche Wandel ist vollzogen: Anfang der 1990er Jahre waren Auslandsschuljahre in den neuen Bundesländern kaum ein Thema, ab Mitte der 90er wurde es schick im Ausland zur Schule zu gehen oder zu studieren, inzwischen ist es normal. Julian hat Freunde in Spanien und kann sich vorstellen, dort zu studieren. Mias Freundin lebt seit vier Jahren in Äthiopien, wodurch sie Deutschland wieder schätzen gelernt hat. Und Maria möchte nach dem Abitur für einige Jahre weg. Die drei sind Schüler der Voltaire- Gesamtschule Potsdam und sie sind an diesem Tag für Rafael Dezcallar y Mazarredo das Spiegelbild der jungen ostdeutschen Gesellschaft. 20 Jahre nach dem Mauerfall gibt es in den Köpfen keine territorialen Grenzen mehr – weder in Spanien noch in Deutschland, sagte der spanische Botschafter.
Eine Woche lang haben sich die Schüler im Unterricht mit Europa beschäftig, am Ende nun kamen Ministerpräsident Matthias Platzeck sowie der spanische Botschafter Rafael Dezcallar y Mazarredo zu einem Gespräch über Europa in der Krise und in Zukunft an die Gesamtschule. „Fühlen Sie sich als Babelsberger, Deutscher oder Europäer?“, fragte Schulleiterin Ortrud Meyhöfer daher Platzeck. Seine Antwort: In Potsdam als Babelsberger, in Europa als Deutscher und in der Welt als Europäer. Dabei ging es an diesem Morgen weniger um die Frage, was Europa einmal werden kann. Vielmehr nutzte Platzeck die Chance, über das europäische Verständnis insgesamt zu reden, über die Aufgabe einen sozialen Kontinent zu schaffen und über die neue Freiheit der Polen, die seit dem Wegfall der Passkontrollen in die Uckermark ziehen und in Stettin arbeiten. Und über das Verständnis der erlangten Demokratie in Europa. Diese zu verteidigen, sei unheimlich wichtig. Er sehe ein „erhebliches Problem bei vielen Menschen, die Demokratie anzuerkennen“, so Platzeck. Er versucht die Schüler wachzurütteln, damit sie sich engagieren. Denn Demokratie braucht Engagement der Bürger. Diktaturen funktionieren ohne deren Zutun, „aber die Demokratie geht kaputt, wenn keiner mitmacht“. Als Beispiel nannte er die vielen Runden, die vor der Kommunalwahl gedreht werden mussten, um genug Kandidaten für Gemeinderäte und Stadtverordnetenversammlungen auf die Wahllisten zu bekommen. Er sagte nicht, die Motivation mitzuarbeiten lasse nach. Er sagte, „die Bereitschaft hat nicht zugenommen“. Gemeint ist dasselbe. Auch Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm, der am Freitag gemeinsam mit Martin Krüger, Gesandter der Österreichischen Botschaft, im Oberstufenzentrum II besuchte, kritisierte das Demokratieverständnis vieler Deutschen. Die Menschen, die damals den Mauerfall erstritten haben, würden ihre neugewonnenen Partizipationsmöglichkeiten nicht genügend wahrnehmen, sagte Schönbohm mit Blick auf geringe Wahlbeteiligungen vor allem in den Neuen Bundesländern. Diese Beobachtung stieß bei Schulleiterin Christina Weigel allerdings auf Widerspruch. „Fundierte Argumentationsketten“ seien in der Politik oft unerwünscht, sagte sie frustriert. Sie kämpft derzeit gegen die Gedanken der Schulverwaltung, wie die Zukunft des eigenen Oberstufenzentrums am Schlaatz und in der Waldstadt aussehen wird. Trotz der Unzufriedenheit gehe sie wählen, sowohl am 7. Juni bei der Europawahl als auch am 27. September zur Bundes- und Landtagswahl.
Gedankenaustaustausch mit anderen Nationen halten Schönbohm und Platzeck für wichtig. Platzeck sagt, seine Töchter hätten im Ausland gelebt und seien teilweise mit einer anderen Sicht nach Deutschland zurückgekehrt. Die guten Dinge würden wieder etwas in den Fordergrund gerückt – ein noch nicht vollzogener gesellschaftlicher Wandel. jab/evz
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