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Regionalforscher Oliver Ibert über die Verwundbarkeit und Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften
Stand:
Herr Ibert, Tsunamis, Erdbeben, Klimawandel und Finanzkrise – leben wir im Zeitalter der Bedrohungen?
Die Frage nach der objektiven Zunahme ist empirisch kaum zu beantworten. Tatsächlich nehmen die Menschen ihre Zukunft zunehmend als Bedrohung wahr. Also unabhängig davon, ob die objektive, reale Unsicherheit wirklich zugenommen hat, hat sich die Art und Weise, wie wir in die Zukunft schauen, verändert. Der Blick auf zukünftige Entwicklungen ist zunehmend von Alarmismus geprägt. Natürlich gibt es aber auch reale Anlässe dafür.
Wie reagieren wir auf die Gefahren?
Zwischen Bedrohungswahrnehmung und den tatsächlicher Handlung gibt es meist keinen gradlinigen Zusammenhang. Es gibt zahlreiche Beispiele von Gesellschaften, die eine starke Bedrohung wahrnehmen, aber trotzdem nichts tun. In San Francisco, dem Hochrisikogebiet für Erdbeben schlechthin, bereitet man sich kaum vor. In anderen Situationen wird hysterisch überreagiert. Hier gibt es keine vorhersagbaren Reaktionen.
Sie haben einen neuen Blick auf das Thema entwickelt.
Die Wissenschaft analysiert seit Längerem bereits die Verwundbarkeit und Widerstandsfähigkeit menschlicher Gesellschaften – meist in beratender Position. Wir bringen nun insofern eine neue Perspektive hinein, als wir gesellschaftliche Akteure dabei beobachten, wie sie Gefährdungen konstruieren. Sie fokussieren auf Bedrohung, rücken bedrohte Einheiten ins Zentrum der Betrachtung und schauen, welche Beziehungen zu anderen bedrohlichen oder schützenden Elementen bestehen.
Sie gehen davon aus, dass Bedrohungen in der Gesellschaft unterschiedlich wahrgenommen werden.
Das Gefühl von Bedrohungen ist auch immer eine Frage der Sichtweise, es handelt sich immer auch ein Produkt sozialer Konstruktion.
Zum Beispiel?
Ein gutes Beispiel sind die beiden Ostsee-Städte Lübeck und Rostock, die beide nach Ansicht der Wissenschaft in gleicher Weise durch den Anstieg des Meeresspiegels im Zuge des Klimawandels bedroht sind. Zugleich haben wir aber in beiden Städten eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung der Folgen des Klimawandels. In Lübeck ist die Gefährdung der historischen Altstadt ein großes Thema, während in Rostock eher die Vorteile der Erderwärmung gesehen werden, weil sich dadurch die Tourismus-Saison verlängern dürfte.
Inwiefern hilft das Erkennen dieser individuellen Sicht dabei weiter, Gefahren zu vermeiden?
Wir können mit unseren Handlungen nur auf Dinge eingehen, die wir wahrnehmen. Dinge, die außerhalb unseres Bewusstseins liegen, werden nicht berücksichtigt. Das kann auch zur Gefahr werden, wenn eine mögliche Bedrohung übersehen wird. Diese blinden Stellen und Auslassungen in Konstruktionsprozessen wollen wir mit unserem Forschungsansatz genauer untersuchen.
Dazu haben Sie auch die Arbeitswelt von Musical-Darstellern untersucht.
Wir haben in einer Studie gezeigt, dass die Wahrnehmung derjenigen, die neu in diesen Arbeitsmarkt kommen, ganz anders sind als die derjenigen, die das schon länger machen. Das ist erst einmal nicht überraschend, aber für uns war interessant, dass die Handlungen, die daraus folgen, auch sehr unterschiedlich sind. Strategien, die man sich als Anfänger als wirkungsvoll vorstellt, werden später aufgegeben. Weil man merkt, dass es nicht so funktioniert, wie man gedacht hat.
Ihr Fazit daraus?
Es geht im Kern bei Resilienz, der Widerstandfähigkeit also, um das Bewahren von etwas. Im Unterschied etwa zur Innovation, bei der etwas verändert und eventuell auch zerstört wird. Die spannende Frage ist nun, was wir für bewahrenswert halten. Denn diese Grenzen sind nicht naturgegeben, sondern es sind menschliche Konstruktionsleistungen, das sind Ergebnisse von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen.
Lässt sich Widerstandsfähigkeit in Gesellschaften überhaupt stimulieren?
Es gibt sehr widerstandsfähige Systeme, etwa die Gas- und Ölindustrie in den USA, die ist extrem resilient. Kaum wurde das Erdöl in der herkömmlichen Förderung knapp, wurde das Fracking-Verfahren entwickelt, was der Öl-Industrie erlauben wird, die nächsten 20 Jahre so wie sie ist weiterzubestehen. Die Frage ist dann nur, für wen das bewahrenswert ist. Die US-Politik hat diese Frage für sich beantwortet und fördert das Verfahren. Fast der gesamte Energiekonsum hängt dort an dieser Sparte und sie ist extrem kapitalintensiv. Aber es gibt auch Parteien, die unter dieser Resilienz-Strategie leiden, deren Landschaft industrialisiert und deren Grundwasser verschmutzt wird.
Ihr Ansatz ist interdisziplinär. Warum bringen Sie Natur- mit Sozialwissenschaftler zusammen?
Das ist unser Ziel. Naturwissenschaftler haben eine eindeutige Sicht auf die Welt, Erdbeben oder Wetterextreme gibt es einfach. Aber welche Folgen diese Gefahren haben, hängt eben auch davon ab, wie wir sie wahrnehmen, wie wir sie einschätzen. Wenn wir etwas auf die leichte Schulter nehmen, könnte das fatale Folgen haben. Eine Frage ist auch, welche Bedrohung wichtiger ist als eine andere.
Was bedeutet das etwa für eine Sturmkatastrophe?
Nehmen Sie den Hurrican Sandy, der Sturm war nur ein Teil des Desasters. Ein anderer Teil war die Infrastruktur, die weitgehend in privater Hand ist und sehr stark zusammengespart wurde. Ein weiter Teil waren recht große Häuser, die nicht sehr solide gebaut waren. Hinzu kam ein nationaler Katastrophenschutz, der nicht besonders gut ausgestattet war. Hier waren viele Elemente im Spiel, der Hurrican war nur eines davon. Das Wetter können wir nicht ändern, die Frage ist also, was wir an den anderen Elementen ändern können.
Sie haben sich auch mit etwas auseinandergesetzt, das im Englischen Slack heißt.
Slack, das sind Ressourcen, die man in der Hinterhand hat, die man im Alltag nicht braucht, die aber in der Katastrophe wichtig werden können. Eine wichtige Frage ist, wie viel Slack wir uns erlauben. Das ist auch Verhandlungssache. Denn Rücklagen werden ja der alltäglichen Nutzung entzogen. Dagegen gibt es natürlich auch Widerstände.
Welche Handlungsoptionen sehen Sie?
Ein Punkt ist etwa, dass ein bestimmter Mindeststandard an Infrastruktur für Gemeinwesen nötig ist, um sich im Katastrophenfall aufrappeln zu können. Auch eine gewisse Expertise in der Bevölkerung ist nötig, um im Notfall auch Selbsthilfe leisten zu können. Zudem ist eine gewisse Redundanz in Kommunikationsnetzwerken wichtig, damit etwa eine Relais-Station einspringen kann, wenn eine andere ausfällt. Eine Modularisierung der Stadt ist wichtig, damit man Schäden lokal begrenzen kann. So werden Städte widerstandsfähiger.
Wenn eine Katastrophe ein gewisses Maß an Zerstörung übersteigt, sind Kommunen oft auch überfordert.
Das passiert natürlich. Aber es gibt auch Beispiele, dass dem nicht so sein muss. Nehmen Sie die Terroranschläge von 9/11. Die Kommandozentrale für den Katastrophenschutz war im World Trade Center, insofern war die nicht mehr handlungsfähig. Dennoch ist es gelungen, relativ schnell eine neue Kommandozentrale an einem anderen Ort zu etablieren und dann recht effektiv mit der Krise umzugehen. Solche Fähigkeiten der Reorganisation sind sehr wichtig. Dazu sind starke Routinen im Alltag nötig, damit man im Notfall weiß, was man improvisieren muss. Dafür sind weitreichende Infrastrukturen unabdingbar, um schnell neue Strukturen aufbauen zu können. Wenn man hier an der falschen Stelle gespart hat, dann wird es schwierig zu reagieren.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
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