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Landeshauptstadt: IM-Tätigkeit ist kein Kavaliersdelikt

18 Jahre lang leitete Gisela Rüdiger die Potsdamer Außenstelle der Birthler-Behörde: Ihre eigene Akte hat sie nie gefunden

Stand:

Frau Rüdiger, Sie leiten seit 1991 die Potsdamer Außenstelle der Stasiunterlagenbehörde. Im Januar muss die Außenstelle nach Berlin umziehen, gleichzeitig gehen Sie in Vorruhestand. Ist das als Protest zu verstehen?

Nein, das ist kein Protest. Es hängt allerdings mit dem Umzug zusammen. Wenn die Außenstelle weiter hier geblieben wäre, dann hätte ich sehr gerne weitergemacht. Der Umzug wurde ja schon seit 2003 angestrebt. Deswegen habe ich damals auch schon die Vorruhestandsregelung beantragt. Dass das Ende der Außenstelle jetzt auch mein „Ende“ ist, ist aber Zufall.

Fünf Jahre stand die Zukunft der Außenstelle auf der Kippe, auch weil der Betriebsrat sein Veto gegen den geplanten Umzug eingelegt hatte. Was spricht eigentlich gegen Berlin?

Der örtliche Umzug allein wäre nicht das Problem. Aber in Berlin wird es keine eigene Außenstelle mehr geben. Die Mitarbeiter aus Potsdam werden auf die verschiedenen Bereiche der Zentralbehörde aufgeteilt, es wird dort dann keinen speziellen Ansprechpartner mehr für Anfragen aus Potsdam geben. Geplant ist aber eine Anlaufstelle in der Lindenstraße.

Warum wäre das denn wichtig?

Natürlich kann die Archivarin, die hier gearbeitet hat, auch in Berlin Auskunft geben. Nur: Als Außenstehender wissen Sie gar nicht, an wen Sie sich wenden sollen. In Berlin arbeiten ja ungefähr 1000 Leute. Die Mitarbeiter, die jahrelang Akteneinsichten für den Potsdamer Bereich gemacht haben, haben auch sehr viel Erfahrung. Zum Beispiel bei der Decknamenentschlüsselung: Unsere Mitarbeiter haben einen Überblick darüber, welche Namen hier überhaupt vorkommen.

Eine Frage der Einarbeitungszeit

Nicht nur. Eine kleine Gruppe wie hier in Potsdam ist auch besser für die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen: Ich habe zum Beispiel immer wieder Hinweise von den Archivaren bekommen, wenn sie interessante Akten für eine Ausstellung oder für unsere Schulmaterialien gefunden haben. In Berlin dagegen ist das Archiv vom Auskunftsbereich örtlich getrennt. Ortsnähe und Fachkenntnis sind in Potsdam einfach gebündelter.

Ihre Bilanz nach 18 Jahren Arbeit?

Ich finde die Arbeit der Behörde nach wie vor richtig und wichtig, auch zur Aufklärung über die Diktatur. Viele junge Leute wissen heute gar nicht mehr, wie es eigentlich in der DDR gewesen ist. Wir waren ja hier alle eingesperrt! Mir erscheint die Zeit umso absurder und unglaublicher, je länger das zurück liegt. Besucher aus den alten Bundesländern fragen manchmal: Wieso haben Sie sich denn nicht gewehrt? Ja, das ist zu wenig gewesen, dass man sich gewehrt hat. Aber man war ja auch völlig abgeschnitten. Ohne Fernsehen hätte man überhaupt nichts mehr mitgekriegt. Der Mensch wurde in der Schule schon zum Lügen erzogen. Sehr viele haben das dann so verinnerlicht, dass ihnen die Zustände am Ende gar nicht mehr so schrecklich vorkamen. Aber wenn wir jetzt mit einem Mal wieder in die DDR versetzt werden würden – das wäre katastrophal!

Wann haben Sie Ihre eigene Stasiakte gelesen?

Ich habe keine Betroffenenakte, nur Karteierfassungen. Es gibt zwar Hinweise auf Unterlagen, aber in der Kreisdienststelle in der Puschkinallee ist ja sehr viel vernichtet worden. In Spitzelakten habe ich dann Berichte über mich gefunden. Einmal ist zum Beispiel mein Arbeitsplatz, also der Schreibtisch, durchsucht worden. Der Direktor des Ingenieurbüros hatte dafür gesorgt, dass niemand im Haus und die Stasi ungestört war.

Haben Sie eine Ahnung, warum man Sie bespitzelte?

Ich sollte damals als Studentin an der Pädagogischen Hochschule für die Stasi geworben werden. Ein Mitarbeiter des MfS wollte, dass ich die Junge Gemeinde beobachte – mein Vater ist Pfarrer. Ich habe gleich gesagt: Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage, das mache ich nicht. Danach bin ich nie wieder angesprochen worden. Aber aus dieser Zeit stammen einige Berichte. Später sind meine Eltern in den Westen gezogen. Wir wissen heute, dass bei meinem Vater der Telefonverkehr abgehört worden ist.

Wie viele Stasi-Akten sind in der Behörde schätzungsweise durch Ihre Hände gegangen?

Das kann ich nicht sagen. Im ersten Jahr hatte ich täglich Akten auf dem Tisch, nachdem ich Leiterin geworden bin, wurden es weniger. Ich habe aber bis zum Schluss Akteneinsichten gemacht, Forschungsanträge bearbeitet und mich um Einzelfälle gekümmert.

Gibt es Schicksale, die Ihnen besonders nahe gegangen sind?

Da gab es einige. Sehr berührt hat mich der Fall von einem Mann, der 1961 ins Gefängnis kam. Er hatte eine Freundin in Westberlin, die er wegen der Mauer nicht mehr treffen konnte. Und da hat er seinem Vater in Chemnitz einen Brief geschrieben und berichtet, wie furchtbar alles ist. Der Brief ist abgefangen worden und der Mann ist dafür anderthalb Jahre ins Gefängnis gekommen, ohne Urteil! Seine Familie hat ihm nie richtig geglaubt, dass nur der Brief der Grund für die Haft sein sollte. Er hatte das ein ganzes Leben lang im Hinterkopf. Als er seine Akten dann gesehen hat, konnte er endlich aufatmen.

Haben Sie bei den Betroffenen auch Wut erlebt?

Wut nicht, aber oft Angst – davor, dass man wieder Alpträume kriegt, nicht zur Ruhe kommt. Es gibt ja bis heute Leute, die sich nicht trauen, ihre Akte einzusehen, obwohl klar ist, dass sie aus politischen Gründen im Gefängnis gesessen haben.

Wie sehen Sie die Diskussionen um die Stasivergangenheit von Politikern?

Am meisten erschüttert hat mich in den Anfangsjahren, dass zwei Landtagsabgeordnete Informelle Mitarbeiter gewesen sind – ausgerechnet vom „Neuen Forum“, die ja eigentlich die Aufarbeitung vorantreiben wollten. Aber auch die Diskussion um den damaligen Ministerpräsident Stolpe hat mich sehr aufgeregt. Eigentlich hätte er sein Amt bis zur Klärung der Vorwürfe niederlegen müssen, das wäre angemessen gewesen. Ich finde nach wie vor, Politiker müssen eine Stasi-Tätigkeit offen legen, bevor sie sich zur Wahl stellen, auch wenn es jetzt schon so lange her ist. Das ist ja etwas Persönlichkeitsbestimmendes gewesen im Leben, kein Kavaliersdelikt.

Haben Stasi-Leute jemals versucht, Mitarbeiter in der Stasi-Unterlagenbehörde zu werden?

Ja. Am Anfang wollten sogar hauptamtliche Mitarbeiter eingestellt werden – mit der Begründung, dass sie über die Kartei Bescheid wissen und das System kennen. Die damalige Leiterin Uta Leichsenring hat das aber strikt abgelehnt. 1992 gab es dann einige Bewerber, die IM gewesen sind.

Das haben sie offen angegeben?

Nein. Das ist bei der Überprüfung rausgekommen. Alle Mitarbeiter sind vor der Einstellung überprüft worden, das wussten die Bewerber. Vielleicht haben sie damit gerechnet, dass die Akten nicht mehr vorhanden sind. Es gab tatsächlich Führungsoffiziere, die ihren IMs gesagt haben: Du brauchst keine Angst zu haben, ich habe deine Akte vernichtet. Das kam öfter vor, wie wir später herausgefunden haben.

Es gibt heute Internetseiten, auf denen ehemalige Stasi-Leute die Geschichte „aufarbeiten“...

Furchtbar. Ich finde es sehr wichtig, dass sich die ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiter nicht einfach so äußern können und dass sie kein Podium mehr bekommen, um anderen ihre Sichtweise aufzudrücken.

Welche anderen Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Ich wünsche mir für die Betroffenen eine Kultur der Würdigung in der Gesellschaft. Verwaltung und Institutionen müssen sich darum noch mehr kümmern. Außerdem muss es im Land Brandenburg mehr Stellen geben, an die sich Betroffene wenden können. Auch die Lindenstraße ist ja keine richtige Betreuungsstelle.

Haben Sie schon Pläne für 2009?

Ich werde mich weiter engagieren, ich bin ja in den Vereinen von Lindenstraße und Leistikowstraße. Und ich werde bei meiner jüngeren Schwester mithelfen. Sie ist Goldschmiedin und hat einen Laden hier in der Stadt.

Das Gespräch führte Jana Haase

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