Landeshauptstadt: In Gedenken an
Hunderte Menschen gedachten in Potsdam dem Mauerbau und dessen Opfern. Es wurde geschwiegen, erinnert und kritisiert. Jakobs sagte zu den Sacrowern: „Es gibt keine guten oder schlechten Mauertoten“
Stand:
Im Streit um das Aufstellen einer Gedenkstele an ein Maueropfer in Sacrow hat Jann Jakobs (SPD) sich klar positioniert. „Es gibt keine guten oder schlechten Mauertoten. Es gibt nur Opfer eines Grenzsystems“, sagte Potsdams Oberbürgermeister am Samstag an der Glienicker Brücke. Damit sprach er sich gegen die Haltung einiger Anwohner aus, die das Aufstellen einer Stele für den 1975 getöteten Lothar Hennig im Ortskern kritisierten. Der damals 21-Jährige wurde in der Nacht zum 5. November auf seinem Heimweg von Grenzsoldaten für einen Flüchtling gehalten und vor dem „Dorfkonsum“ erschossen. Für Zündstoff sorgt, dass Hennig Inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit war. Die Frage nun: Soll ihm anders gedacht werden? Jakobs sagt „Nein“ und bekam dafür viel Beifall auf der Veranstaltung.
Freitag 23.37 Uhr am Bahnhof Griebnitzsee, die S-Bahn aus Berlin spuckt ein paar Nachtschwärmer aus. „Was war denn hier los?“, wundert sich einer. Gut 30 Potsdamer hatten sich am Jahrestag des Mauerbaus kurz vor Mitternacht am Bahnhofsgebäude zum Gedenken versammelt. Der Einladung der Potsdamer CDU zu ungewöhnlicher Stunde war unter anderem auch Ex-Innenminister Jörg Schönbohm gefolgt – exakt 50 Jahre, nachdem mit der S-Bahn die für die Potsdamer letzte mögliche Verbindung nach Westberlin gekappt wurde. Die Wahl auf den Bahnhof sei auch deshalb gefallen, weil die Glienicker Brücke, an der die CDU traditionell seit 1995 dem Maueropfern gedacht hatte, in diesem Jahr bereits „sehr früh und vorsorglich“ von der SPD reserviert worden war, obwohl sie dort keine eigene Veranstaltung organisierte, wie die CDU-Kreisvorsitzende Katherina Reiche bissig anmerkte. Auch die CDU- Landesvorsitzende Saskia Ludwig sparte nicht mit Kritik am politischen Gegner – wegen der zögerlichen Vorbereitung der offiziellen Gedenkveranstaltung des Landes und der Tatsache, dass die rot-rote Regierung sich trotz schriftlicher Aufforderung der CDU nicht der von der Stiftung Berliner Mauer und Opferverbänden ausgerufenen Schweigeminute für dieMaueropfer anschließen wollte. Bei der offiziellen Feier des Landes am Samstagmittag in der Nikolaikirche und der Schweigeminute am Alten Markt fehlten die CDU-Vertreter dann allerdings. Die Mauer-Opfer seien Menschen gewesen, „die sich ihren Willen auf Freiheit bewahrt“ hatten, sagte Jörg Schönbohm. Man dürfe nicht vergessen, wohin totalitäre Diktaturen führen, betonte er. Saskia Ludwig warnte vor „Geschichtsklitterung“, wie sie die Partei Die Linke betreibe, indem sie auch heute noch Rechtfertigungen für den Mauerbau sucht. Dass einige Linken-Politiker die Mauer mittlerweile als „Riesenfehler“ bezeichnen, kritisierte Katherina Reiche scharf: „Die Mauer war kein Fehler, die Mauer war ein Verbrechen.“ Eine Minute des Gedenkens beschloss die nächtlicheVeranstaltung am Griebnitzsee.
Samstag 10 Uhr Steinstraße Ecke Mendelsohn-Bartholdy- Straße. Die SPD gedenkt dem Mauerbau an einer Ecke nahe Steinstücken. Eine Tafel erinnert hier an den Mauerverlauf, hinter der Eigenheimsiedlung Parforceheide ist der alte Kolonnenweg noch erhalten. Die Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein erinnert sich an ihre Kindheit unweit von diesem Ort in der Stahnsdorfer Straße. Und auch die Landtagsabgeordnete Klara Geywitz ist im Grenzgebiet aufgewachsen. In Seeburg, die Schule in Groß Glienicke habe im Grenzgebiet gelegen. Die Mauer habe etwas Alltägliches gehabt, sagen beide. „Berlin war geografisch nah, aber so unendlich weit entfernt“, sagte Geywitz. Sie gedachte auch der vielen Menschen, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten und danach Repressalien erlitten. Immerhin 250 000 Menschen hatte die BRD freigekauft – „die DDR war ein großes Gefängnis“, so Geywitz. Und Oberbürgermeister Jann Jakobs? Obwohl im August 1961 weit weg, im ostfriesischen Eilsum und gerade in die Schule gekommen, erinnert sich an die Tage um den Mauerbau. Es war die Rede von Krieg, sagt er. Im Dorf gab es drei Familien mit Fernseher, dort sei die Familie hin und habe Nachrichten geschaut.
Samstag 11.30 Uhr Nikolaikirche am Alten Markt. Joachim Zehner erinnert sich gut an die Zeit, als er 1966 im Südwesten Berlins lebte. „Es war die Stadt, in der in allen Richtungen Osten ist“, sagte der Superintendent der Evangelischen Kirche Potsdam in seiner Andacht am Samstag in der Nikolaikirche. Straßenschilder wiesen nach Teltow und Potsdam, aber „sie zeigten ins Nichts“. Und er stellte sich die Frage, warum der Westen diese Mauer akzeptiert habe. Mit einem Gottesdienst und einer Schweigeminute am Alten Markt in der Landeshauptstadt haben etwa 200 Potsdamer im Beisein von Landtagspräsident Gunter Fritsch und Oberbürgermeister Jakobs dem Mauerbau und den Opfern der deutsch-deutschen Teilung, aber auch den bis heute von Mauern umschlossenen Menschen gedacht. „Ich habe mir eine größere Teilnahme der Potsdamer gewünscht“, sagte Jakobs: „Vielleicht haben wir nicht intensiv genug dafür geworben.“ Der von der Stiftung Berliner Mauer und Opferverbänden ausgerufenen Schweigeminute für die Maueropfer hatte sich Potsdam nicht angeschlossen – Jakobs’ Büroleiter hatte unterdessen erklärt, es gebe „keinen Anlass“, sich an der „Kollektivschweigeminute “ zu beteiligen. Während in Berlin Busse und Bahnen stoppten, ruhte Potsdam nicht im Gedenken.
16 Uhr Glienicker Brücke. Immer mehr Menschen kommen vor die Bühne und hören den Rednern – unter anderem SPD- Oberbürgermeister Jann Jakobs und die CDU-Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche – bei der offiziellen Gedenkveranstaltung der Stadt und der Gedenkstätte Lindenstraße 54 zu. Und beim MauerVerlauf, als sie entlang des Glienicker Horns an Tote, Grenzanlagen und Mauer erinnerten. Noch mehr Zuhörer hatten dann die DDR-Bürgerrechtler und Liedermacher Bettina Wegner, Stephan Krawczyk und Salli Sallmann mit Band, als sie ab 18 Uhr an der Glienicker Brücke spielten, während von der Berliner Seite ein Fackelzug der Erinnerungen die frühere Grenze passierte. Jaha/jab
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: