Landeshauptstadt: Ins Jrüne
Eine Ausstellung zeigt: Gegenüber den 1920er Jahren bricht der Regionalverkehr heute keine Rekorde
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Zur Fahrt „ins Grüne“ (oder „ins Jrüne“) nutzen die Berliner seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Eisenbahn. Kulturland Brandenburg hat in seinem Themenjahr „Provinz und Metropole. Metropole und Provinz“ auch diese Verbindung zwischen der Hauptstadt und ihrem brandenburgischen Umland unter die Lupe genommen. Am Mittwochabend eröffnete die Vereinsvorsitzende Brigitte Faber-Schmidt gemeinsam mit Infrastrukturminister Reinhold Dellmann in der Stadt- und Landesbibliothek am Platz der Einheit eine Ausstellung zum Ausflugsverkehr auf der Schiene. Ihr Autor ist Udo Dittfurth vom im Bahnhof Griebnitzsee untergebrachten Berliner S-Bahnmuseum.
Als Ausflugsziele stellt sie zehn Ortschaften vor, darunter natürlich Potsdam und Werder, das mit dem Baumblütenfest das nach der Münchner „Wiesn“ das zweitgrößte deutsche Volksfest veranstaltet. Minister Dellmann bemerkte, dass Potsdam nicht zur Provinz zu rechnen, sondern die „heimliche Hauptstadt“ Brandenburgs sei und bei einer Länderfusion auch werde. Dem folgt die Ausstellung, in dem sie das „Gesamtkunstwerk Potsdam“ darstellt, das durch das Krongut Bornstedt, die Medienstadt oder den Theaterneubau in den letzten Jahren neue touristische Attraktionen hinzugewonnen hat. Auch sein Hauptbahnhof wird als Ausflugsbahnhof gewürdigt. Er erreicht zwar nicht mehr die architektonische Qualität des kriegszerstörten Vorgängerbaus, übertrifft ihn aber in der Größe.
Überrascht stellt der Betrachter fest, dass der heutige S-Bahn- und Regionalverkehr in die Mark gegenüber früheren Jahrzehnten keine Rekorde bricht. In den 1930er Jahren zählte Potsdam jährlich sechs bis sieben Millionen Besucher, in der DDR-Zeit immerhin fünf Millionen. Zum Baumblütenfest 1924 entstiegen in Werder an einem einzigen Sonntag 69 000 Besucher den Zügen. Wie heute fuhren die S-Bahnen vor dem Krieg im Zehn-Minuten-Takt, die Regionalbahnen alle halbe Stunde. Auch die Fahrzeiten weichen kaum voneinander ab. Bereits 1891 wurde ein weit ins Land reichender günstiger Vororttarif eingeführt, der auch ärmeren Familien die Wochenendfahrt „ins Jrüne“ ermöglichte. Dazu kamen zahlreiche Ermäßigungen, sogar für Kleingärtner. Auch heute seien die Tarife aber noch so günstig, dass sie jedem Berliner den Ausflug in das grüne Umland ermöglichten, meinte Dellmann. Das Streckennetz und die Verkehrsdichte seien gegenüber anderen Metropolen weltweit einmalig.
Doch soll bis ins Jahr 2012 nach Aussage von Minister Dellmann der schienengebundene Nahverkehr in die Erholungsgebiete „gestärkt“ werden. Das tut auch not – wenn man beispielsweise daran denkt, dass vor dem Krieg auf zwölf Strecken Klein- und Privatbahnen verkehrten, von denen nur die „Heidekrautbahn“ und die Museumsbahn Müncheberg – Buckow überlebt haben. E. Hoh
„Mit der Bahn ins Grüne. Ausflugsverkehr zwischen Mark und Metropole.“ Stadt- und Landesbibliothek, Am Kanal 47, 19. Juni - 5. Juli, geöffnet montags bis freitags 10 - 19, samstags 10 - 16 Uhr. Infos unter Tel. 030/63 49 70 76.
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