
© Katie Simpson
Landeshauptstadt: Intolerant war nur das Wetter
Seit Freitag wird der Bauzaun des künftigen Landtagsschlosses mit Graffiti besprayt
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208 Meter genehmigte Graffiti direkt in Potsdams historischer Mitte. Eine Nachricht, die Potsdamer sonst nur am 1. April zu lesen bekommen. Doch diesmal ist es die Wahrheit: Seit gestern und noch bis Sonntag besprayen 48 Brandenburger und Berliner, zwischen 13 und 32 Jahren alt, den Bauzaun an der Landtagsschloss-Baustelle. Ende Mai hatte der Stadtjugendring Potsdam den Graffiti-Wettbewerb ausgerufen, forderte Jugendliche aus Brandenburg auf, Entwürfe für Motive zum Thema „Toleranz“ oder „Potsdamer Stadtleben“ einzuschicken. Landtagsabgeordnete wählten daraus die 20 Sprayer-Teams aus, die gestern anreisten. Am Nachmittag wurde die Graffiti-Aktion von Landtagspräsident Gunter Fritsch eröffnet: „Graffiti – das ist nicht nur Mauern beschmieren“, betonte er und verwies auf die Bedeutung des Toleranz-Mottos des Wochenendes. In diesem Zusammenhang forderte er die Anwesenden auch zu einer Schweigeminute für die Opfer der Anschläge in Norwegen auf, die vor zwei Wochen die Welt erschüttert hatten.
Danach konnte es eigentlich losgehen, doch kurz nach der Ausgabe der Farb-Dosen sorgte Platzregen für leichte Verzögerungen; einige Sprayer diskutierten unter den aufgebauten Zelten lieber über Motive. „Für die Details ist der Regen schlecht, die könnten verlaufen“, meinte der 26-jährige Dominique aus Märkisch-Oderland. „Und wir wollen ja ein Super-Ergebnis abliefern.“ Manche Sprayer schützten sich einfach vor dem Wetter, indem sie große Plastikplanen am Bauzaun vertäuten und auf dem Boden mit Kisten fixierten, sodass sie unter einer Art Schrägdach arbeiten konnten.
Zehn Meter Platz hat jedes der 20 Teams für seine Arbeit. Die Entwürfe reichen von kunstvoll verschnörkelten „Toleranz“-Schriftzügen bis zu fotorealistischen Szenen, die von Frieden und Verständnis handeln. Nico aus Potsdam hat sich für ein Filmmonster-Motiv mit Bezug auf den Filmpark Babelsberg entschieden: „Ich wollte nicht das 30. ,Toleranz' daneben malen, sondern lieber was Cooles, was mich mit Potsdam verbindet. Das ist ein geileres Thema als nur Blumen oder Peace-Zeichen.“ Der 26-Jährige freut sich sehr über die zur Verfügung gestellte Fläche: „Die Stelle ist das Beste: Da, wo es alle sehen können.“ Tatsächlich sprayen die Jugendlichen auf der der Straße zugewandten Seite des Bauzauns, wo regelmäßig Straßenbahnen und Busse vorbeifahren. Gleichzeitig findet Nico aber auch, dass es ansonsten zu wenig legale Sprayer-Flächen in Potsdam gebe: „Weder in der alten Fleischerei am Bahnhof noch im Waschhaus können wir noch sprayen. Und es bringt auch nichts, wenn man mal am Bassinplatz eine einzelne Mauer für Graffiti hinstellt.“ Thema Bassinplatz: Dort wurde ein kleines Zeltlager für jene Teilnehmer eingerichtet, die aus weiter entfernten Landesteilen angereist sind, auf dem Programm stehen Barbecue und Live-Musik.
Dass die Graffiti-Aktion zustande gekommen ist, ist schon für sich gesehen ein Zeichen der Toleranz. Graffiti werden von öffentlicher Seite meist alles andere als gerne gesehen. „Als wir versucht haben, den Verkehrsbetrieb Berlin-Brandenburg (VBB) als Sponsor zu gewinnen, hat man da erst mal geschluckt. Man sagte uns, dass der VBB ja zu den Hauptleidtragenden von Graffiti gehören würde“, berichtete Ingrid Mattern, Sprecherin des Finanzministeriums, das als einer der Landtags-Bauherren zu den Sponsoren der Aktion gehört. Umso erstaunlicher, dass auch der VBB Toleranz bewiesen und den jungen Künstlern die Tickets für die Fahrt nach Potsdam gesponsert hat. Dafür ziert nun auch ein gesprühtes VBB-Logo den Bauzaun.
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