Landeshauptstadt: Ismail im Dönerland
Ismail Inci gehört der älteste Döner-Imbiss in Potsdam. Heute vor genau zehn Jahren hat er „First Kebap“ eröffnet.
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Nach einer halben Stunde Fahrt sitzt Ismail Inci endlich im Büro von Hasan Babur. Dass der Raum in dem unauffälligen, grauen Flachbau im Falkenseer Industriegebiet liegt, vergisst der Gast aus Potsdam hier sofort: An der Decke prangt Stuck, die Wände sind mit türkisen Stofftapeten überzogen. Und irgendjemand hat auf einem Schränkchen eine Blümchengirlande drapiert, die nun die drei Fotografien von Hasans Kindern ziert.
Blickfang aber ist das Ölgemälde mit dem Konterfei des Hausherrn, sorgfältig aufgestellt neben den Medaillen und Schnappschüssen von ihm in Karatepose. Der Babur auf den Bildern sieht viel jünger aus und auch etwas schlanker , als der Endvierziger hinter dem beeindruckendem Schreibtisch. Aber wer würde keinen Bauch ansetzen, wenn er ständig Döner kosten müsste? Und das muss Babur fast immer, wenn er seine Kunden wie Ismail Inci vom „First Kebap“ in Potsdam besucht, um abzurechnen. Denn Hasan ist Dönerhersteller – der einzige in Brandenburg. Ein Meister seines Fachs, ausgebildet in der Türkei. „Doktor Döner“ nennt ihn Inci, der ihm in seinem Imbiss in der Friedrich Ebert-Straße ebenfalls regelmäßig das knusprig gebrutzelte Fleisch vom Spieß anbietet. Nicht nur aus Gastfreundschaft, sondern auch als Frischetest: „Wenn er es gerne isst, ist er ein guter Hersteller, dann verwendet er frisches, gutes Fleisch.“ Und Babur scheint es bei Inci offenbar immer zu schmecken. Denn der ist einer seiner treuesten Kunden. Fast von Anfang an, seit zehn Jahren, kauft Inci seine Fleischspieße bei Doktor Döner.
Hin und wieder schaut er in dessen Fabrik vorbei, um sich von der Qualität der Fleischspieße vor Ort zu überzeugen. Vor vier Jahren zog Babur mit seinem Betrieb nach Falkensee. Zuvor war er einer von rund 20 Dönerherstellern in Berlin. Vor 18 Jahren kam Babur nach Deutschland, um hier sein Glück zu versuchen. Denn Deutschland ist Dönerland. „In der Türkei essen die Menschen viel seltener Döner – und wenn meistens vom Huhn, weil das billiger ist“, sagt Babur. Er spricht noch immer kaum deutsch und so dolmetscht sein Geschäftsführer Muharrem Halatci immer, wenn es notwendig ist.
Der heute 38-Jährige Inci dagegen hat mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Er sei „ehemaliger Ausländer“, sagt er, noch lieber aber „Europäer“. Er war zehn Jahre alt, als seine Eltern mit ihm aus der Kleinstadt Glümüshane am Schwarzen Meer als Gastarbeiter nach Westberlin gingen. In Kreuzberg besuchte er die Realschule und wurde später Maschinenbauer. Ins Dönergeschäft stieg er nur ein, weil sein Cousin Anfang der 90er zu ihm sagte: „Ismail, ich habe da einen Laden entdeckt, den könnten wir mieten und Döner verkaufen.“ Also eröffnete Ismail Inci zusammen mit seinem Cousin, ein Koch, einen Imbiss in der Oranienstraße. Doch der Vetter war nach einem Monat „abgehauen“, erzählt Inci: „Und ich keine Ahnung von Dönern!“ Nach einem Jahr übergab er das Geschäft seinemBruder und arbeitete auf dem Bau. Doch Inci war auf den Geschmack gekommen. Er mochte die Arbeit im Imbiss, der Kontakt zu den Menschen, die vielen kleinen Gespräche. „Ich habe damals schon zu meiner Frau gesagt, dass wir einen Laden aufmachen sollen“ – und zwar in Potsdam. Denn seine Nachbarstadt gefiel ihm außerordentlich. Vor allem wegen der „schönen Architektur“.
Ständig fuhr er mit seiner Frau Kader und mit dem ersten Sohn hierher: „Wir haben Sonntagsausflüge gemacht“, erzählt Inci. Als er Anfang 1996 bei einem dieser Ausflüge das leere Geschäft in der Friedrich-Ebert-Straße sah, machte er seinen Traum wahr, eröffnete am 6. März seinen Laden und zog mit seiner Familie nach Potsdam. Seine Frau, die vor einer Woche ihren dritten Sohn zur Welt gebracht hat, arbeitet normalerweise mit im Imbiss. „Unsere Soßenmischungen sind die Idee meiner Frau“, sagt Inci. Drei Geschmäcker bietet Ismail Inci nach der Rezeptur Kaders an: Knoblauch, Kräuter und scharf-tomatig. Die Soßen, „knuspriges Brot und knackige Salate“ machen einen guten Döner-Kebap aus, glaubt Inci: „Und die richtigen Mengen: „Nicht zu viel Soße, nicht zu viel Rotkohl und auch nicht Zuviel Fleisch darf ins Weißbrot“, sonst wird es weich und tropft.
Nachdem Dönerverkäufer Inci und -hersteller Babur bei Tee über türkische Fleischspieße gefachsimpelt haben, werfen sie sich weiße Kittel über, setzen Häubchen auf. Hygiene muss sein. Denn jetzt gehen sie in die gekühlte Fabrikhalle. 25 Männer arbeiten hier bei 8 Grad Celsius neben Maschinen, die doppelt so groß sind wie sie. Eine zermahlt das rosafarbene Fleisch samt Gewürzen – Oregano, Salz und Pfeffer – zu feinem gelblichen Brei. Wannenweise holen Baburs Männer das Hackfleisch aus der Maschine, denn zu 60 Prozent besteht ein Döner aus Hack. Der Rest sind dünne Fleischfladen, die Arbeiter abwechselnd mit dem Brei auf die Metall-Stangen ziehen. Auf Baburs Spieße komme nur holländisches Kalbsfleisch, so der Chef. Zwei Tonnen produzieren seine Leute täglich. Bei ihm arbeiten nur Türken, denn die hätten ihr Handwerk gelernt. Dazu gehören nicht nur Messer wetzen und Fettschwarten abschneiden, sondern auch dasEinrollen des fertigen Dönerkegels in Plastikfolie, damit er rein beim Kunden ankommt.
Jeden Morgen gegen 8 Uhr liefern Baburs Leute einen 35–Kilogramm-Kegel Fleisch in die Friedrich-Ebert-Straße. Der reicht für einen ganzen Tag. Was übrig bleibt, kriegt eine „ältere Dame“ geschenkt, die öfter im „First Kebap“ speist oder Mitarbeiter nehmen die Reste mit nach Hause. Heute Abend wird Incis Dönerspieß aber bestimmt blitzeblank sein, denn zur Feier des Tages kostet der Kebap nur 1 Euro. Die Feuerwehr hat sich schon angemeldet, sagt Inci. 40 Döner wollen die Brandschützer essen.
Juliane Wedemeyer
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