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Geflohen vor dem Krieg. Nach dem Architekturstudium floh Bashar Kassem aus Syrien.

© Johanna Bergmann

PNN-Serie: Angekommen in Potsdam: „Ist eine lange Reise“

Bashar Kassem sollte in Syrien zur Armee eingezogen werden. Er floh ins Ausland und landete in Potsdam.

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Sie kommen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea oder Kamerun und hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland. Doch in der Realität haben es die Flüchtlinge hier oft schwer – es gibt Probleme mit der Sprache, der Arbeitserlaubnis oder den neuen Nachbarn. Jeden Donnerstag stellen die PNN einen Menschen vor, der zumindest ein Stück weit in Potsdam angekommen ist.

Wie eine gigantische Zwiebel sieht das Bauprojekt von Bashar Kassem aus. Eigentlich ist der zugespitzte Kuppelbau der Eingang des Flughafens von Najaf im Irak. Der 27-jährige Architekturabsolvent hat in Damaskus bei der international agierenden Architektur- und Designfirma „Arch.Atelier“ gearbeitet, die das Projekt nach dem Vorbild der Imam-Ali-Moschee im irakischen Nadschaf entworfen hat. Fliehen musste Kassem, weil er in Syrien sonst zum Militärdienst eingezogen worden wäre.

Nun steht er in Potsdam vor einer PowerPoint-Präsentation im Künstlerhaus „Scholle 51“ in der Geschwister-Scholl-Straße und erklärt auf Englisch die Aufteilung der Abflug- und Wartezonen, zeigt Baupläne und Grundrisse. Er ist ziemlich nervös, spricht hastig und hält das Mikrofon mit beiden Händen. Vor ihm sitzen die Zuschauer des Kreativ-Dialogs „6 mal 6 plus 1“, den das Wirtschaftsministerium des Landes Brandenburg seit zwei Jahren dazu nutzt, um ortsansässige Kreativköpfe auch branchenübergreifend zu vernetzen. Bashar Kassem kommt als „plus 1“, denn seit diesem Jahr nehmen auch Flüchtlinge, die in Brandenburg Fuß gefasst haben, an dem Netzwerkabend teil. Sechs Minuten haben die Teilnehmer Zeit, um sich und ihre Arbeit vorzustellen – wie sie das machen, ist ihnen selbst überlassen. So vollführt die Künstlerin Julia Brömsel eine Art Kunst-Tanz-Performance, bei der sie mit musikalischer Untermalung ihre Leinwand – die Karte eines Menschenaffen aus dem Biologie-Unterricht – mit Farbe bespielt. Kassem hält es da klassisch – mit einer Präsentation. Seit knapp eineinhalb Jahren ist er nun schon in Potsdam.

"Sie wären sonst gekommen und hätten mich geholt"

In Damaskus hat ihn sein Studium davor geschützt, in die Armee eingezogen zu werden. Als er 2012 jedoch seinen Abschluss machte, hatte er nicht mehr viel Zeit, um „nach einem Ausweg zu suchen“, wie er sagt. „Sie wären sonst gekommen und hätten mich geholt.“ Für Kassem war das keine Option. „Ich will nicht zur Armee gehen und Leute töten.“

Er plant, in die USA zu gehen, wo seine Schwester mit ihrer Familie lebt. Doch er bekommt kein Visum und entscheidet sich schließlich für eine Flucht nach Deutschland. Dort wohnt sein Bruder – in Westdeutschland. Er hat Syrien schon vor dem Bürgerkrieg verlassen. Von Syrien aus fliegt Kassem über den Libanon in die Türkei, setzt nach Griechenland mit dem Boot über und fährt dann über Italien und die Schweiz nach Deutschland mit dem Zug. „Ist eine lange Reise“, sagt er, faltet seine Hände ineinander und lächelt schüchtern. Doch auch in Deutschland wird er von Station zu Station geschoben. Von Berlin nach Eisenhüttenstadt, nach Frankfurt (Oder), nach Schönefeld und schließlich nach Potsdam. „Das ist für ungefähr 40 Tage.“

Gefühl, dass in Deutschland viel für Flüchtlinge getan wird

Über seine Flucht spricht er ganz ruhig, sachlich. Er lächelt viel und wirft häufig verstohlene Blicke zu seinen Freunden hinüber, die nach den Vorträgen an der Bar stehen und sich unterhalten. Eine Freundin hat ihn auch an den Kreativ-Dialog vermittelt. Sie kennen sich aus dem Staudenhof, einer Einrichtung von Soziale Stadt Potsdam e.V. Dort sollen Flüchtlinge gemeinsam mit deutschen Nachbarn wohnen und über, von Mitgliedern der Fachhochschule organisierten, Aktivitäten in die lokale Gemeinschaft einbezogen werden. Bashar Kassem hat das Gefühl, dass in Deutschland sehr viel für die Flüchtlinge getan wird. „Ich schätze das sehr“, sagt er. „Ich hoffe, wir dürfen weiter hier leben.“ Das darf er auch, zumindest für die nächsten drei Jahre. Für diese Zeit hat er eine Aufenthaltserlaubnis. Seit Kurzem wohnt Kassem nun in seiner eigenen Wohnung im Stadtteil Eiche und macht ein Praktikum im Potsdamer Architektenbüro „van geisten.marfels“, das vorrangig leer stehende Kasernen oder Lagerhallen zu modernen Wohngebäuden saniert. Für die nächsten Jahre hat Kassem erst einmal nur einen Wunsch: Besser Deutsch zu lernen – obwohl er die Sprache für die kurze Zeit bemerkenswert gut spricht. „Im Januar fange ich einen B2 Kurs an“, sagt er lächelt wieder breit.

Auch möchte er gerne weiterstudieren bis zum Master-Abschluss. Kassem schaut aber auch, wie sich die Lage in Syrien entwickelt. „Ich will irgendwann zurück und meine Freunde und meine Familie wiedersehen.“ Mit denen steht er weiterhin in Kontakt, auch wenn viele seiner Freunde, ebenso wie er, Syrien verlassen haben. Sie sind in Ägypten, dem Libanon und Saudi-Arabien. „Natürlich mache ich mir Sorgen“, sagt Kassem, „Die Situation ist manchmal sehr schwierig. Mit Isis und den vielen Gruppen und Russland.“ Der 27-Jährige weiß nicht, ob er durch den Krieg in seinem Heimatland nun zu einem politischen Menschen geworden ist. Er hat aber das Gefühl, je mehr Parteien sich einmischen, desto mehr Zuwachs bekommen radikale Gruppen. „Niemand sollte diese Gruppen unterstützen. Dann wird es besser werden“, ist er überzeugt: „No guns, no fights.“

Theresa Dagge

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